: Taliban gegen den Rest der Welt
Mullah Omar empfiehlt dem Rat der Islamgelehrten, den mutmaßlichen Terroristen Ussama Bin Laden nicht zu auszuliefern. In Pakistan wollen die Islamisten mit Generalstreik die Regierung von einer Zusammenarbeit mit den USA abbringen
aus Delhi BERNARD IMHASLY
Die islamischen Religionsgelehrten, die in Afghanistans Hauptstadt Kabul über eine Auslieferung von Ussama Bin Laden beraten, haben ihre Entscheidung auf heute vertagt. Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar empfahl ihnen, die Forderung nach einer Auslieferung des mutmaßlichen Terroristen abzulehnen, solange keine Beweise vorlägen. In einer zu Beginn der Sitzung der mehreren hundert „Ulemas“ verlesenen Botschaft erklärte Omar, die Forderung sei nur ein Vorwand zur Zerstörung der Taliban. Den USA sei das islamische System der Taliban ein Dorn im Auge. Er wiederholte das Angebot, das Beweismaterial dem Obersten Gericht Afghanistans oder einem Gremium von Geistlichen aus drei islamischen Ländern vorzulegen.
Als einzig neues Element erwähnte er die Möglichkeit, Bin Laden der Aufsicht der Organisation Islamischer Staaten (OIC) zu unterstellen. Beobachter in Pakistan bezweifeln, dass es sich dabei um einen möglichen Kompromissvorschlag handelt, der den Taliban eine Auslieferung bei Wahrung des Gesichts erlauben würde.
Für morgen hat der „Verteidigungsrat für Afghanistan und Pakistan“, ein Bündnis islamistischer Organisationen in Pakistan, einen Generalstreik und Protestmärsche angekündigt. Die Taliban sehen diese Organisationen als wichtige Verbündete. Bereits gestern demonstrierten im südpakistanischen Karachi mehrere hundert Islamisten. Sie verbrannten US-Flaggen und Bilder von George W. Bush. Mehrere westliche Staaten begannen damit, Botschaftspersonal aus Pakistan abzuziehen.
In den Augen vieler Pakistaner und Afghanen hängt der Erfolg einer US-Strafexepedition nach Afghanistan entscheidend von Pakistans Mitwirkung ab. Könnte die Regierung mit Massenprotesten gezwungen werden, den USA die Stirn zu bieten, werde es „nur“ zu Raketen- und Luftangriffen kommen. Diese hätten keinen großen militärischen Nutzen, aber einen negativen internationalen Publizitätseffekt. Aus Angst vor möglichen US-Angriffen versuchten auch gestern zehntausende Menschen aus Afghanistan zu fliehen.
Für Pakistans Regierung ist die Entscheidung zur „vollen Kooperation“ mit den USA ein unkalkulierbares Risiko. Sie versucht deshalb dies zu mindern. Präsident Pervez Musharraf beriet sich die letzten Tage immer wieder mit Armeechefs, Parteiführern, islamischen Würdenträgern und Diplomaten. Pakistanische Zeitungen berichten aus dem Umfeld von Gesprächspartnern des Präsidenten, Musharraf habe vom „enormen Druck“ der US-Regierung gesprochen. Die hätte ihn noch in der Nacht vom 11. September aus dem Bett geholt und aufgefordert, sofort zu entscheiden, „ob Pakistan ein Freund oder ein Feind der USA“ sei. Er habe befürchten müssen, dass ein Abseitsstehen Pakistans zu einer Allianz der USA mit Indien führen würde und Pakistan plötzlich zu jenen Staaten gezählt würde, die Terroristen Unterschlupf bieten. Dies könnte es zum Ziel des amerikanischen Zorns machen.
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