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Der Kläranlagenchef

Karl Eduard von Schnitzler, die rote Brille der Nation, ist tot. In 1.519 Sendungen polemisierte sich der TV-Mann in die Herzen von Ost und West

von JENNI ZYLKA

Schnitzlermund tat Wahrheit kund. Keiner konnte so tendenziös-elegant Schimpf und Schande ausschütten, keiner so polemisch den Klassenfeind anprangern wie der Sohn eines königlich-preußischen Legationsrats. Und so wohnten, ach, zwei Seelen in seiner Brust: der Quasi-Adelsspross von Schnitzler, mit einer großbürgerlichen Familie in der Hinterhand, zu der auch spätere NS-Kriegsverbrecher gehörten, trat mit zarten 14 Jahren in die Sozialistische Arbeiterjugend ein. 1944 begann seine Laufbahn als Journalist, beim deutschsprachigen Dienst der BBC in London: Schnitzler war Kriegsgefangener.

Er wurde 1945 bevorzugt entlassen und wechselte zum NWDR Hamburg. Aber seine Vorstellungen, wie man die siegreiche Arbeiterklasse durch eine eindeutige journalistische Linie unterstützen sollte, gingen nicht mit den Anfängen der öffentlich-rechtlichen westdeutschen Sendeanstalten zusammen. Darum machte er 1947 in die sowjetisch besetzte Zone rüber, trat flugs in die SED ein und argumentierte sich zum Chefkommentator des Berliner Rundfunks hinauf. Den langwährenden Zenit seiner Karriere erreichte er jedoch erst mit dem ersten Montag, an dem er sich in „Der schwarze Kanal“ aufmachte, als „Kläranlage“ „Unflat und Abwässer, die sich Tag für Tag in hunderttausende westdeutsche und Westberliner Haushalte ergießen“ (aus der ersten Sendung) zu reinigen.

Das war der 21. März 1960. Schnitzler, mit Bart, Scheiteltoupet, die Äuglein wütend durch horngerahmte Glasbausteine blinzelnd, schimpfte sich mit Leidenschaft und Elan in die Herzen der Genossinnen und Genossen. Und auch in die der schmunzelnden ImperialistInnen im Westen: hüben und drüben gab es interessanterweise fast gleich viele ZuschauerInnen (angeblich durchschnittlich 30 Prozent, zu DDR-Programmen gab es nie offizielle Einschaltquoten). Denn „Sudel-Ede“ konnte gleichzeitig amüsieren und verärgern. Sein Mischmasch aus kompromissloser Parteipolitik, agitativer Anti-West-Hetze und den neu angeordneten Ausschnitts-Collagen aus dem „verdorbenen“ Westfernsehen hinterließen in jedem Fall Eindruck. Seine „Hygiene im Äther“ prangerte die westlichen Medien an, die „sich zwar unabhängig nennen, tatsächlich jedoch als imperiale Klassenmedien fungieren“, so die Sächsische Zeitung 1985. Schnitzler sprühte Häme wie ein sozialistischer Feuermelder, wie er da auf seinem Sessel saß und die Welt erklärte: „Da schwitzt zunächst einmal der fette Franz-Josef Strauß durch den schwarzen Kanal“, spottete er um sich.

Das Ende des Kalten Kriegs und die Öffnung der DDR hatte der Bombastrhetoriker nicht vorausgesehen. Seine Sudelshow wurde Ende Oktober 1989, kurz vor dem Mauerfall, abgesetzt: „Diese Sendung wird nach fast dreißig Jahren die Kürzeste sein, nämlich die letzte“, damit nahm er seinen Hut. Von Schnitzler starb am Donnerstag mit 83 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.

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