piwik no script img

Auf der Suche nach Orientierung, Halt

Zwölf Tage nach dem Anschlag in den USA. Wo sich die Debatte verdichtet: Huntington, Globalisierung, Antiamerikanismus und der Golfkrieg revisited

von BRIGITTE WERNEBURG

So sind wir also ins 21. Jahrhundert gestoßen worden: Unvermittelt und mit monströser Bösartigkeit. Es gibt ja immer dieses historische Datum eines Ereignisses von so schwer wiegender Konsequenz, dass es eine Zäsur zur Zeit davor markiert und mit ihm das kalendarisch schon längst eingeläutete neue Jahrhundert erst wirklich zu beginnen scheint. Angesichts der Bilder von den Terroranschlägen gegen New York und Washington, der gekidnappten Verkehrsflugzeuge, die von einem Kommando Selbstmordattentäter in das World Trade Center und auf das Pentagon gestürzt wurden, war unmittelbar klar: Hier ist die Zäsur.

Wie sie sich tatsächlich darstellen wird, in den Folgen, die der Anschlag nach sich zieht, wissen wir nicht. Trotzdem forderte der Anschlag ad hoc Kommentare, Analysen und vor allem Spekulation heraus. Er überforderte aber auch die Kommentatoren, Journalisten, Autoren und Wissenschaftler. Die Überforderung zeigt sich im Rückgriff auf altbekannte Diskurse. Erster Halt im Strudel der Überlegungen fand sich bei Samuel Huntingtons These, es sei der „Kampf der Kulturen“, der im 21. Jahrhundert zu Kriegen führe, nachdem es im 20. Jahrhundert der Kampf der Ideologien und im 19. Jahrhundert der Konflikt der Nationen gewesen sei. Indem die Gleichsetzung der Attentäter mit der Kultur, aus der sie kommen, ohne weiteres mitgemacht wurde, gab es wohl kaum einen Artikel im deutschen Feuilleton, in dem der „Clash of Civilizations“ nicht vorkam; zustimmend zitiert von konservativer Seite, ablehnend von liberaler und linker Seite. Erstaunlicherweise befand Huntington selbst in einem Interview der Zeit, dass der terroristische Angriff und die amerikanische Antwort nicht in diesem Schema beschreibbar seien. Welcher Irrläufer der Kampf der Kulturen ist, sah man etwa beim stellvertretenden amerikanischen Außenminister Paul Wolfowitz, der davon sprach, dass selbst „Teile der unzivilisierten Welt“ begonnen hätten sich zu fragen, ob sie auf der falschen Seite stehen.

Dass für eine militant antiamerikanisch gestimmte außerparlamentarische Opposition in Deutschland jeder auf der falschen Seite steht, der ihrer Argumentation, dass es die Nato sei, „die weltweit durch Militäreinsätze, Krieg und Tote die mörderische Weltwirtschaftsordnung aufrechterhalten will“ (Flugblatt der Deutschen Friedensgesellschaft) nicht folgen kann, betrübt nicht weiter.

Die jüngste Globalisierungsdebatte ist im alten Diskurs-Knoten – wie hältst du’s mit Amerika? – natürlich auch wiederzufinden. Der Knoten scheint sich nie aufdröseln zu lassen. Die Freunde Amerikas dulden hier nur bedingungslose Solidarität. Jeder Frage nach einer problematischen amerikanischen Außenpolitik wird mit dem moralischen Totschlagargument begegnet, damit entwürdige man die Opfer und exkulpiere die Täter. Die Freunde Amerikas glauben offenbar an den Kampf der Kulturen, auch wenn sie ihn gerne als Modernisierungsproblem sehen. Das Fehlen einer Epoche der Aufklärung, der Hass auf die westliche Moderne und Neid auf deren avancierte Technologie sollen der Grund für den weithin verbreiteten Antiamerikanismus der arabischen Welt sein, nicht aber die Erinnerungen an eine Politik, die die korrupten Regime im Nahen Osten stützt, oder an konkrete Interventionen, angefangen vom CIA-Putsch gegen die demokratische Regierung Mossadehs 1953 im Iran, bis zum Golfkrieg vor zehn Jahren.

Sich an den Golfkrieg zu erinnern, den der Vater des jetzigen amerikanischen Präsidenten führte, könnte die „Leere im Zentrum des Terrors“, die politische Ziellosigkeit des Terrors, die Jürgen Kaube in der FAZ feststellt, als Fehlsicht aufzeigen. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Seyla Benhabib sagt in der Zeit, dass sie den Verdacht nicht loswird, dass es nicht das Elend der Palästinenser ist, sondern der Golfkrieg, den Ussama Bin Laden und das Terrorkommando im Kopf hatten. Nach dem Motto: die Söhne büßen für die Sünden ihrer Väter. Alte Rechnungen aus dem Golfkrieg will auch Henryk M. Broder im Spiegel wieder aufmachen, der in Deutschland erneut die alte (antiamerikanische und antiisraelische) Friedenssucht grassieren sieht. Bislang findet er aber keine Unterstützung. Die Debattenredner von vor zehn Jahren schweigen, etwa Cora Stephan; oder sie argumentieren merkwürdig defensiv wie Hans Magnus Enzensberger zuletzt in der FAZ, der keinen Weltbürgerkrieg mehr sieht, sondern Todestrieb und Wiederkehr des Menschenopfers.

Timothy Garton Ashs Warnung in der Süddeutschen, die Vereinigten Staaten könnten sich wie Israel verhalten und im Gefühl der Belagerung um sich schlagen, Vergeltung üben ohne weitere Prüfung, ob der Schlag tatsächlich die Richtigen trifft, scheint bislang unbegründet. Der Diskurs der Intellektuellen jedenfalls verdichtet sich an der Stelle, wo die Wahrnehmung der amerikanischen Interessen in der Wahrnehmung der Interessen der anderen durch die USA gesehen wird. Man erwartet, dass den Amerikanern Außenpolitik nicht mehr gleichgültig ist und sich damit die innenpolitisch motivierte Rücksichtslosigkeit der USA in ihrem weltpolitischen Handeln ändert.

Wie immer, werden aber auch jetzt die Hobbyhorses geritten. Sibylle Tönnies in der Welt hofft Außenpolitik durch eine „Weltinnenpolitik“ ersetzen zu können, unter dem Schirm einer amerikanischen „Weltpolizei“. Frank Schirrmacher sieht in der FAZ seinen Lieblingsdenker Bill Joy vom Vorwurf, nur ein Sciencefiction-Schreiber zu sein, rehabilitiert. Nur eine Debatte der jüngsten Vergangenheit scheint keine Chance auf ihre Überführung in die neue Weltlage zu haben: Niemand fragte bislang nach dem Gencode der Islamisten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen