Bibliophile Lebensverzweiflung

■ Das Oldenburger Staatsschauspiel eröffnete seine Spielzeit mit den „Drei Schwestern“ von Anton Tschechow. Selbige spielten ihre männlichen Kollegen sämtlich an die Wand

Derzeit stehen bunte Büdchen vor dem ehrwürdigen Oldenburger Staatstheater, ein Kinderkarusseldreht sich, die Lichter blinken: „alles offen“, so betitelt der neue Oldenburger Generalintendant, Rainer Mennicken, seine erste Spielzeit am schmucken Haus.

Tatsächlich scheint er sich auf sein Publikum zu zu bewegen, es sozusagen auf der Straße abzuholen. Es wurden auch bereits bunt kostümierte Gestalten in der Fußgängerszone, Oldenburg City, gesichtet, die Szenen aus der Oper „Le Grand Macabre“ zum Besten gaben, mit der am Donnerstag die Spielzeit an der Hunte eröffnet wurde. Und ein Blick in die Programmvorschauen verspricht viele rauschende Feste und öffentliche Premierenfeten.

Der Theaterbesuch als Leib- und Magen-Event, also. Nach dem Schauspieleinstand am vergangenen Freitag mit Tschechows „Drei Schwestern“ gabs jedenfalls russische Musik zum heißen Büffet. Und auch die Inszenierung selbst griff die leichteren Töne der Vorlage auf, packte das Drama bei seinen komischen Zügen. Die optimistische, matronenhafte Olga (Birgit Oswald), Mascha (zickig: Nicola Lembach) und die verspielte Irina lungern auf dem Sofa rum, gelangweilt, kokettierend, Chips knabbernd. Sie sind in der Provinz gestrandet wohin ihr verstorbener Herr Vater Brigadegeneral versetzt worden war. Weit weg von Moskau, träumen sie sich in die Metropole und Bruder Andrej (Norbert Wendel) soll sie über eine Karriere als Universitätsprofessor zurückbringen in die glückverheißende Großstadt.

Doch das Briiiderchen heiratet die naturgeile und herrische Natalja (Anne Eversbusch), die bald das Haus mit Kindern voll gebärt, alle beherrscht und ihren Mann betrügt. Sie ist der Kontrapunkt des Stückes zu den drei begabten, gut ausgebildeten hübschen Schwestern, die sich zwar von Galanen umschwirren lassen, von der Liebe, dem Ehebruch oder einer Karriere träumen.... aber nicht zugreifen, wenn das Leben ihnen lange Zügel lässt. Maschas Mann (Murath Yeginer) sieht wohl, dass seine um vieles jüngere, intelligente Frau an der Seite ihres ehemaligen Lehrers verkümmert, er drückt alle Augen zu, spielt Alltag. Doch seine bibliophile Lebensverzweiflung scheint in Mascha eher so etwas wie ein Helfersyndrom und Anfälle von Zickigkeit auszulösen. Jedenfalls: sie bleibt, halb wahnsinnig werdend, obwohl der Mann lockt. Ein anderer natürlich. Gesoffen wird hier viel, ertränkter Gefühlsstau, in dem sich alles mögliche – Sauereien, natürlich - andeutet und nicht passiert. Ändern wird sich: nichts.

Es sind die leichten Gesten, die kleinen Einfälle nebenbei, die diese Inszenierung sehenswert machen, ihr mal Leichtigkeit, mal doppelte metaphorische Ebenen verleihen: Uwe Kramer wird zum Liebhaber Alexander, in dem er – ganz aus Versehen scheints – der kokett misbilligenden Nicola Lembach als Mascha in den Kartoffelchip beißt, irgendwie ihr Händchen mit den Lippen streift, nebenbei...und es macht irgendwie peng. Aber dann ist gerade bei diesem Paar schauspielerisch ein hemmendes Ungleichgewicht zu spüren. Die Lembach glüht geradezu vor Intensität und differenzierten Spielfarben, er hingegen bremst das Feuer hölzern aus, was nicht nur der Rollenvorgabe zu schulden ist.

Insgesamt fehlt es nämlich der Inszenierung oft etwas an Tempo, sowohl die Wortdialoge als auch die körperlich-gestische Zwiesprache dürften prompter kontern. Impulse fallen zu Boden, ungespielt. Vielleicht nur Einstandschwierigkeiten des neuen Ensembles. Schade jedenfalls, denn die drei Hauptdarstellerinnen spielen ihre Kollegen sämtlich an die Wand - was natürlich auch als gewollte Betonung der Vitalität, des Emanzipationswillens der Schwestern zu verstehen wäre, sofern sie nicht so biedere Träume hätten. Eben da bleibt die Inszenierung ungenau. In der Betonung des Leichten lauert halt auch eine gewisse Oberflächlichkeit mit der dann tatsächlich einiges offen bleibt, auf der Bühne.

Marijke Gerwin

Die nächsten Aufführungen: 25. und 29. September, 19 Uhr im Großen Haus des Oldenburger Staatstheaters