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Fauler Leib riecht faules Laub

Annäherung an einen Berliner Park, letzter Teil: Der Volkspark Friedrichshain hat sich vom utopischen Garten der Romantik in eine neuzeitliche Fitnessanlage verwandelt. Manchmal sieht man trotzdem die Sonne hinter den Trümmeralpen untergehen

von SUSANNE MESSMER

Es gibt eine Stelle im Volkspark Friedrichshain, da wird mir immer ganz weh ums Herz. Direkt hinterm Polnisch-Deutschen Denkmal, wo man sich im Sommer mit Eis in der Waffel auf den Hang setzt, haben wir im späten November vor drei Jahren Gabi beerdigt. Es war schon etwas Bodenfrost und wir kamen nicht besonders tief mit dem Ofenbesteck. Wahrscheinlich liegt sie also gar nicht mehr da, sondern irgendeine Berliner Töle hat sie gleich wieder ausgescharrt und ihre Leiche gefressen.

Oft gehe ich in den Volkspark Friedrichshain, wenn mich auch nicht erst seit diesem Tag im November eine seltsame Hassliebe mit dem Park verbindet. Klar, man kann prima auf den kleinen Trümmerberg oder den höheren Mont Klamott klettern, immer in Spiralen, und dann wieder hinunter. Zwei Millionen Kubikmeter Schutt, eine ganze Menge, kann man sich wieder und wieder denken, und dabei das Lied von Silly summen: „Mont Klamott – auf’m Dach von Berlin. Mont Klamott – sind die Wiesen so grün.“ Vorne kann man raten, welche Figur des Märchenbrunnens zu welchem Märchen gehört, um zum hundertsten Mal festzustellen, dass man sich auf diesem Gebiet schlecht auskennt. In den zwei stinkenden Ententeichen gibt es so viel grüne Grütze, dass man die Goldfische nicht mehr zählen kann. Im Sommer kann man auf den Liegewiesen Strand spielen, anschließend im Freiluftkino Eintritt zahlen und einschlafen. Für die restlichen neun Wintermonate in Berlin gibt es ein Café, das vor einem Jahr plötzlich hip geworden ist, in das aber tagsüber immer noch jeder geht. Hier kann man sich bei Kälte wie in einem Schweizer Lungensanatorium auf der erhöhten Terrasse in eine Decke wickeln, mit Grog bewirten lassen, das faule Laub riechen, fauler Leib sein und den Sonnenuntergang hinter den Trümmeralpen beobachten. Das ist alles schön.

Warum ich den Volkspark liebe, aber trotzdem hasse, liegt nicht nur an Gabi und daran, dass ich beim Spazierengehen unter so unendlicher Langeweile leide, dass ich meinen Begleitern immer lautstark einrede, ich fände auch mit verbundenen Augen zurück. Der Grund, warum der Volkspark irgendwie auch blöde ist, ist der, dass er ein Volkspark ist. Der Friedrichshain ist Berlins ältester Volkspark, da er schon Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt wurde, in einer Zeit, als eigentlich noch der sentimentale Garten galt, der Landschaftspark nach englischem Vorbild.

In den romantischen Gartenbautheorien des 19. Jahrhunderts ging es darum, im Park für Bequemlichkeit und viele Möglichkeiten zu sorgen, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Man spielte mit den Grenzen des Gartens, machte sie unsichtbar durch Gräben, so genannte Ahas, um die Kontinuität zwischen Park und angrenzender Landschaft zu wahren: Der Park als Illusion, als offener Innenraum eines Außenraums, der immer spürbar bleiben soll – eine Utopie vom Paradies auf Erden, das nirgendwo aufhört. Rousseaus Diktum von der Natürlichkeit trieb dem Garten Symmetrie, Ordnung und Geradlinigkeit aus. Er wurde natürlicher als die Natur.

Doch ließ sich das praktische Leben im aufkommenden Industriezeitalter einfach nicht länger ausklammern. Mit dem Anwachsen der Bevölkerungen kamen Industriearbeiter in den Park. Im Friedrichshain wurden Wege begradigt und Plätze ausgeweitet. Das Außen wurde nicht mehr sanft ausgegrenzt, sondern rückte in den Kern: Immer mehr ging es den Theoretikern des Gartenbaus um den bedürfnisgerechten Nutzwert der Parks. Die Bevölkerung sollte hier Bewegung, Genuss der freien Luft und Erholung von Geschäften finden. Man wollte sich auf das Wesentliche beschränken, nichts mehr repräsentieren, sondern Trimmdichpfade und schattige Zonen für Spaziergänger schaffen. Was Wunder, dass die Sozialutopien von der Verbesserung des Alltagslebens am Anfang dieses Jahrhunderts merkwürdig zu denen der DDR passten.

Am anderen Ende des Friedrichshains kann man sich heute die Nasen an den Glasscheiben des hässlichsten Schwimmbads der Welt, dem Sport-und Erholungszentrum, kurz SEZ, platt drücken und arme Schwimmer bemitleiden, wie sie sich im Wellenbad abstrampeln. Oder im Winter die Teenager in der Eisdisko, während sie sich die Knochen brechen. Immer wieder quälen sich müde Jogger vorbei. Durch nichts müssen sie sich ablenken lassen. Verharren, faul sein, die Aussicht genießen geht hier nicht. Es gibt ja keine. An die Ideologie, dass das gemeine Volk Sport zum Ausgleich braucht, wird auch heute angeknüpft: Anstatt an der Stelle, wo früher das Schwimmstadion war, eine Wiese anzulegen, wird hier die größte Skaterbahn des Landes gebaut. Gleich daneben, in den Drachenwiesen, ist Sand aufgeschüttet für Beachvolleyball. Wo ein Berg ist, ist auch eine Rodelbahn. Aber was soll’s, auf den letzten Liegewiesen, die es noch gibt, kriegt man im Sommer sowieso kein Auge zu. Nicht nur drohen einem Hunde ins Gesicht zu spucken, man kann auch leicht von einem Ballspieler erschlagen werden. Ich bin für Abschaffung sämtlicher Sportanlagen in meinem Park und für die Einführung strenger Regeln und Parkwächter. Auch wenn Gabi dann wahrscheinlich ihre letzte Ruhe in der Mülltonne gefunden hätte.

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