: Sozialdemokratische Strohhalme
Hamburgs SPD mag sich mit dem Machtverlust noch nicht abfinden und sendet trotzig Signale an alle, die nicht zuhören ■ Von Peter Ahrens
Sie tun so, als habe es den Erd-rutsch vom Wahlsonntag nie gegeben. Die Spitzen-Sozialdemokraten Ortwin Runde und Olaf Scholz erweckten auch einen Tag nach der Wahl den Eindruck, es habe nur kurz gewittert, man habe sich irgendwo untergestellt, und jetzt gehe es so weiter wie bisher und wie immer – mit der SPD an der Macht in Hamburg.
Tatsächlich hat sie gegenüber ihrem katastrophal schlechten Ergebnis von 1997 um 0,3 Prozent auf 36,4 Prozent zugelegt und ist die mit Abstand stärkste Partei geblieben. Aber das gleichzeitige Wegbrechen ihres Grünen Koalitionspartners, der auf 8,5 Prozent abstürzte, hat dafür gesorgt, dass Rot-Grün am Ende ist und nun die schwache 26-Prozent-CDU mit dem siegesbesoffenen Ronald Schill und der magersüchtigen FDP den Rechtsblock schmiedet.
Nur die SPD glaubt das nicht: Gestern haben Runde und Scholz bekräftigt, sie seien „bereit, eine Regierung ohne die Schill-Partei zu ermöglichen“. Aus reiner Selbstlosigkeit. „Eine Große Koalition verspricht Stabilität“, eröffnen Runde und Scholz ihre Umarmungsversuche der CDU.
In Bremen habe das doch gut funktioniert, dagegen sei ein Zusammengehen der CDU mit FDP und Schill „ein politisches Debakel“. Und um dies zu verhindern, werden die Spitzen-Sozis ganz fürsorglich: „Die CDU muss in einer Koalition mit der Schill-Partei um ihre Zukunft als Volkspartei fürchten.“ Und das kann man als Sozialdemokrat ja nicht wollen.
Die Sozialdemokraten ignorieren damit souverän, dass sämtliche Signale auf den Rechtsblock hi-nauslaufen. CDU (33 Mandate), Schill (25) und FDP (6) haben gegenüber SPD (46) und GAL (11) einen Vorsprung von sieben Sitzen. Nichts spricht momentan für eine Große Koalition, aber Runde und Scholz können sich mit einer SPD in der Opposition einfach nicht abfinden.
„Wir werden nicht beleidigt abseits stehen, wenn vernünftige Kräfte bei CDU und FDP eine Alternative suchen“, sagten sie ges-tern Abend vor der Presse, bevor sich die Parteispitze zu ihrer Vorstandssitzung hinter verschlossenen Türen zurückzog, und versuchten auf diese Art, einen kleinen Spaltpilz unter Christ- und Freidemokraten zu züchten.
Parteichef Scholz ließ immerhin mit einem kurzen Einblick ins Gemütsleben durchblicken, dass sich für die sozialdemokratische Weltsicht seit Sonntag doch einiges geändert hat. „Den Umständen entsprechend“ ginge es ihm, und auch Fraktionschef Holger Christier hatte „ein bisschen unruhiger geschlafen als sonst“ – während Runde nebenan vor den Fernsehkameras sich noch einmal an dem Strohhalm festhielt, dass auch Gespräche zwischen CDU, FDP und Schill eventuell zu keinem Ergebnis führen könnten.
Der noch amtierende Bürgermeister kann einen schwachen Trost immerhin für sich verbuchen. Ihm persönlich wird das Scheitern der Senatsmehrheit offenbar nicht angelastet. Als er gestern abend zur Landesvorstandssitzung – die bei Redaktionsschluss noch nicht beendet war – erschien, gab es von den ParteigenossInnen spontanen Applaus.
Ein vollwertiger Ersatz für den Machtverlust im Rathaus ist das keineswegs.
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