: Ein ganz ungetrübter Putin-Besuch
Heute kommt der russische Präsident in die Bundesrepublik. Er wird nicht mit Kritik am Tschetschenienkrieg belästigt, denn nur eines zählt für Gerhard Schröder: ihn zum festen Partner in der Anti-Terror-Koalition der USA zu machen
BERLIN taz ■ Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin heute zu seinem dreitägigen Staatsbesuch in Deutschland eintrifft, wird er sich erstmals seit langer Zeit keine deutschen Vorwürfe wegen des Tschetschenienkrieges anhören müssen. „Die Tschetschenienfrage kann jetzt nicht im Vordergrund stehen“, hieß es gestern in Regierungskreisen, „wir müssen uns auf die Hauptproblematik konzentrieren.“
Nach dem Anschlag auf das World Trade Center will Bundeskanzler Gerhard Schröder den Russen zum festen Bestandteil einer Anti-Terror-Koalition an Seiten der USA machen. Stillschweigend akzeptiert Berlin darum die bisher bestrittene Interpretation Putins, wonach die russische Armee in Tschetschenien nur Terroristen bekämpfe. „Bis vor kurzem war Russland allein auf weiter Flur – nur wir haben dem internationalen Terrorismus Widerstand geleistet“, bekräftigte der Präsident in einem Interview vor seiner Abreise.
Aus deutscher Sicht soll nichts einen Besuch trüben, bei dem für Schröder mehr auf dem Spiel steht als üblich. „Es geht um eine Art Bewährungsprobe der Linie des Bundeskanzlers, Russland auch ins Boot der globalen Verantwortung zu holen“, sagen seine Mitarbeiter. Die Amerikaner hätten diese Strategie inzwischen „aufgenommen“. Im Kanzleramt ist bereits offen die Rede von einer „strategischen Allianz zwischen Russland, den USA und der Europäischen Union“, die weit über die Bekämpfung des Terrorismus hinausreichen könnte.
„So traurig der Anlass ist, er bietet aufgrund der gemeinsamen Allianz auch Chancen der Annäherung im amerikanisch-russischen Verhältnis“ bei Punkten, die bisher strittig waren, sagte ein hoher Beamter gestern. Beim geplanten amerikanischen Raketenabwehrschild und der Änderung des ABM-Vertrags würden sich beide Seiten nun vielleicht näher kommen.
Die russische Solidarität mit den USA sei derzeit „ohne Zwischentöne“, heißt es lobend. Umgekehrt sehen wohl die USA das deutsche Bemühen um Russland als hilfreich an. Dabei spielt das persönliche Verhältnis von Schröder zu Putin eine Rolle, das offenbar so herzlich ist wie zu kaum einem anderen Regierungschef. Das Besuchsprogramm umfasst daher neben einem Abstecher nach Nordrhein-Westfalen auch eine Dampferfahrt der Ehepaare Putin und Schröder in Dresden, wo der Russe zu DDR-Zeiten fünf Jahre als KGB-Agent arbeitete.
Politisch erhofft sich die Bundesregierung Putins Unterstützung bei einem Kernanliegen rot-grüner Außenpolitik: Eine enge Zusammenarbeit in der Anti-Terror-Koalition werde es möglich machen, „die Vereinten Nationen wieder stärker ins Zentrum zu rücken“.
Doch nicht nur die Deutschen hoffen, aus dem Besuch Kapital zu schlagen. Wenn der Westen „wirkliche Zusammenarbeit“ bei der Bekämpfung des Terrorismus wolle, hat Putin angekündigt, „dann müssen wir aber auch gemeinsam an der Front kämpfen, mit der Russland heute zu tun hat“. Die Bundesregierung wird das Thema Tschetschenien nicht los.
PATRIK SCHWARZ
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