piwik no script img

Reines Zweckbündnis

Die „Nord-Allianz“ ist der einzige in Afghanistan verbliebene kämpfende Widersacher der Taliban

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Nach den Bin Laden und seinen Anhängern zugeschriebenen Terrorangriffen auf Washington und New York, vor den Angriffen der USA auf die Bin-Laden-Freunde, die Taliban, rücken die noch verbliebenen Widersacher der Taliban in Afghanistan selbst in eine wichtigere Position – auch für die USA. Gegenwärtig versucht die Nord-Allianz eine Offensive gegen die Taliban. Ihr Oberbefehlshaber Ahmed Shah Massouh war zwei Tage vor den Angriffen auf die USA durch ein Selbstmordattentat ausgeschaltet worden.

Die Nord-Allianz wurde am 4. Juni 1997 von bis dahin völlig zerstrittenen Gruppen gegründet und nannte sich „Vereinigte Islamische Front zur Rettung von Afghanistan“. Sie ist ein reines Zweckbündnis. Der Gegner waren die Taliban, und diese bleiben bis heute die einzige einigende Klammer der Koalition, neben der ethnischen und religiösen Grenzziehung. Die Taliban sind sunnitische Paschtunen aus dem Süden, die meisten Partner der Koalition sind Schiiten aus dem Norden und Westen des Landes.

Die unterschwelligen politischen und religiösen Rivalitäten der Nachbarstaaten Afghanistans hatten auch den Anlass zur Gründung gegeben. Eine Woche zuvor hatten Pakistan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien das Regime der Taliban in Kabul anerkannt. Damit kündigten diese Länder an, dass sie den Plan einer Regierung der nationalen Einheit in den Wind schlugen.

Der wichtigste Gegenspieler der Pakistaner und Saudis auf dem afghanischen Schachbrett war damals Iran. Es gelang Teheran, die wichtigsten der nach dem Abzug der Sowjettruppen gegeneinander kämpfenden Gruppen zu einem Zusammenschluss zu bewegen. Neben der Jamiat Islami von Rabbani und Masud (ihr Anführer Burhanuddin Rabanni wird international immer noch als Präsident Afghanistans anerkannt) gehörte dazu die „Jumbesh Milli Islami“ des Usbeken Rashid Dostam, eines Exgenerals der prosowjetischen Regierung. Die dritte Partei war die „Hezbe Wahadat“, vor allem unter den Hazara-Stämmen in Zentralafghanistan verwurzelt. Die Schiiten aus der Westregion um die alte Handelsmetropole Herat waren ebenfalls Teil der Koalition. Der Allianz schlossen sich auch die kleinen Gruppen der „Harakat Islami“ von Asef Mohseni und der „Ittehad Islami“ von Rasul Sayyaf an.

Dostams Usbeken-Milizen, allenthalben als „Teppichdiebe“ verrufen, hatten zuvor ebenso wie Hekmatyars Artillerie Masud in Kabul belagert und monatelang mit einem Bombenteppich eingedeckt. Masuds Truppen wiederum hatten im Verein mit Sayyaf an den Hizbe-Wahadat-Schiiten regelrechte Massaker verübt.

Die Taliban konnten die zerstrittene Allianz militärisch immer weiter zurückdrängen. Masud konnte seine Festung im Panschirtal halten, doch für sein militärisches Hauptquartier musste er auf die Luftwaffenbasis Kolab in Tadschikistan ausweichen. Nach dem Fall Herats an die Taliban wurden Tadschikistan und Usbekistan zu den wichtigsten Stützpunkten, von denen aus der Nachschub aus Iran und Russland organisiert wurde, ohne den die Allianz kaum überlebt hätte.

Um die ewigen Streitigkeiten zu vermeiden, haben sich die verschiedenen Partner auf ihre Kerngebiete zurückgezogen und bekämpfen dort die Taliban, ohne eine nennenswerte militärische Koordination und bisher auch ohne Erfolg. Die Verzettelung der Kräfte hat der Allianz bestenfalls erlaubt, ihre Rückzugspositionen zu halten, rund 5 Prozent des afghanischen Territoriums. Sie verdankt dies wesentlich Masud, der im Nordosten das einzige zusammenhängende Territorium kontrollierte, und dessen Panschir-Festung die Hauptstadt Kabul achtzig Kilometer südlich ständig bedroht.

Offiziell wird auch die Nord-Allianz vom UNO-Waffenembargo gegen Afghanistan erfasst. Weil sich keine der Parteien im Hintergrund – Russland, Iran, und über sie wahrscheinlich auch westliche Länder – eine Verletzung des Embargos vorwerfen lassen will, war es bisher schwer, zuverlässige Zahlen über ihre Waffenbestände zu erhalten. Ihre Truppenstärke wird auf 15.000 bis 30.000 Mann geschätzt. Im afghanischen Flugsand sind solche Zahlen allerdings wenig aussagekräftig, da Fahnenflucht hier über Nacht die Truppenstärke anschwellen oder schrumpfen lässt.

Die Meinungen darüber, in welcher Richtung diese Frontwechsel stattfinden werden, sollten die USA im Norden militärisch in den Konflikt eingreifen, gehen auseinander. Einzelne Beobachter sagen, es würde zu einem Zusammenschluss unter der Fahne der Taliban kommen. Andere behaupten, zahlreiche Mudschaheddin aufseiten der Taliban warteten nur auf eine Gelegenheit, um sich auf die andere Seite abzusetzen.

Bisher hat Washington die Avancen der Allianz mit Vorsicht kommentiert. „Sie kennen die Taliban, sie kennen das Terrain“, sagte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld anerkennend. Das tun sie – auf beiden Seiten der Front.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen