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Die Feuerprobe wird kommen

Das schwullesbische Filmfestival Lissabon steht unter dem Eindruck der Terrorangriffe auf New York und Washington. Sie machten teilweise die Arbeit eines Jahres zunichte. Doch die etwas andere Filmauswahl hat ihre ganz eigenen Gründe. Den Anfang machten drei Filme, die von Witwen handeln

Der schwullesbische Faktor wäre in diesem Sinne keine Frage des Inhalts

von CRISTINA NORD

An vielen Kreuzungen Lissabons fällt nach den Anschlägen von New York und Washington eine Werbetafel für ein neues Fernsehprogramm auf. „Die Feuerprobe wird kommen“, steht darauf, in flammender Schrift vor rot-schwarzem Hintergrund. Geplant wurde diese Kampagne offensichtlich vor dem 11. September, ähnlich wie ein kurzer Artikel in der Beilage der Zeitung O Independente. Darin wird eine Untersuchung zitiert, der zufolge sich der Intelligenzquotient von George W. Bush auf 91 Punkte belaufe: der dümmste Präsident, den die USA je hatten. Ein Fernseher in einem Restaurant im Viertel Graça zeigt eine Art Videoclip. Zu John Lennons „Imagine“ werden Szenen von Politikern, Trauernden und Bergungsarbeiten montiert. Bauarbeiter am Nebentisch unterhalten sich derweil über technische Einzelheiten der Attentate. Dass in Lissabon gerade ein schwullesbisches Filmfestival anfängt, bleibt unter diesen Umständen unbemerkt.

Es gibt Augenblicke, in denen Celso Júnior, der Leiter dieses Festivals, ungehalten reagiert. Wegen der Absagen von Schauspielern und Regisseuren, wegen der unversehens nötig gewordenen Umstellungen, wegen der Filmspulen, die auf US-amerikanischen Flughäfen möglicherweise vergeblich darauf warten, nach Lissabon transportiert zu werden. Unfair sei es: ein Jahr Arbeit und dann das. Vielleicht ist das der Grund, weshalb er manchmal, wenn er abends einen Film ankündigt und dem Publikum dafür dankt, dass es erschienen ist, nicht von Anschlägen spricht, sondern von den „Ereignissen“. Am nächsten Tag relativiert er: „Wir hatten Glück, weil wir uns rechtzeitig um alle Kopien gekümmert haben.“ Das Festival im baskischen San Sebastián werde viel stärker betroffen sein.

Das schwullesbische Filmfestival von Lissabon existiert seit 1997. Es ist das einzige Filmfestival in der Stadt. In seinem ersten Jahr stand die bescheidene Summe von einer Million Escudos zur Verfügung, umgerechnet sind das 100.000 Mark. In diesem Jahr gibt es erstmals Firmen, die als Sponsoren auftreten, und allein die Lissaboner Stadtverwaltung hat 10 Millionen Escudos beigesteuert. Der Bürgermeister, João Soares, hält am Eröffnungsabend, dem 14. September, eine kurze Rede. Immerhin drei Leute aus dem Organisationsteam werden für ihre Arbeit bezahlt. Der Rest bleibt Ehrenamt. Eine Erfolgsgeschichte – und ein Festival, dessen Filmauswahl sich von der anderer schwullesbischer Festivals abhebt.

Vielleicht ist es Zufall, vielleicht geplant: Gleich drei der sechs Filme, die während der ersten Tage laufen, erzählen von Frauen, die ihre Ehemänner verlieren. In „Una historia de entonces“ ( „Eine Geschichte von damals“), einem Schwarzweißfilm des spanischen Regisseurs José Luis García, geht es um eine junge Witwe, deren Mann im Gefängnis umgekommen ist. Angesiedelt ist die Geschichte in den Vierzigerjahren, der Bürgerkrieg ist vorbei, die Franco-Diktatur lähmt das Land. In „What Time Is It There?“ (Regie: Tsai Ming-Liang) steht zwar nicht die Witwe, sondern ihr Sohn im Zentrum. Dennoch bestimmen ihre Trauer und ihre Hoffnung, der Mann werde als Reinkarnation zurückkehren, das Geschehen: Sie kocht für drei, sie macht die Nacht zum Tag, weil sie meint, so in der Zeit des Toten zu leben, sie zetert, wenn der Sohn eine Küchenschabe tötet, könnte doch im Insekt der wiedergeborene Mann stecken. Und in „Sous le Sable“ („Unter dem Sand“) von François Ozon will Marie (Charlotte Rampling), eine Englischdozentin, nicht wahrhaben, dass ihr Mann bei einem Badeunfall ums Leben gekommen ist. Sie flüchtet sich in ein Gespinst, für sie ist ihr Mann noch am Leben. Selbst als sie seinen Körper im Leichenschauhaus identifizieren soll, findet sie noch einen Weg, der sie von der ungewollten Gewissheit zurück in die rettende Ungewissheit führt.

Drei heterosexuelle Witwen, drei Filme, ein schwullesbisches Festival – auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Kombination. Doch beim zweiten Hinschauen erscheint die Auswahl programmatisch. Nicht nur wegen der Offenheit, die Celso Júnior als hervorstechendes Merkmal des Festivals betrachtet, sondern auch weil die drei Regisseure mit dem Verlust, mit dem Schmerz und mit der Liebe, die plötzlich ihr Objekt verliert, auf eine besondere Art umgehen. Es gibt eine bestimmte Sensibilität, die sich an die filmische Erkundung des Gefühls und des Begehrens bindet, ein Faible für das Melodramatische oder zumindest für dessen Zitat, eine besondere Hingabe an die weiblichen Figuren und ihre Gebrochenheit. Es geht um etwas, das auch in den Filmen von Pedro Almodóvar (dem in Lissabon eine Retrospektive gewidmet ist) oder Rainer Werner Fassbinder manifest ist. Der schwullesbische Faktor wäre in diesem Sinne keine Frage des Inhalts oder vordergründig eine Frage der sexuellen Orientierung eines Regisseurs, sondern eher eine Frage der Ästhetik und der Erzählweise.

„5. festival de cinema gay & lésbico de lisboa“: noch bis zum 29. September, Programm unter www.lisbonfilmfest.org

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