: Kalkulieren mit dem Terror
Nach den Anschlägen von New York entwerfen Versicherer neue Schadensszenarien. Die Branche steht vor einem Boom, kleine Anbieter verschwinden. Industrie fürchtet teurere Versicherungen
von BERNHARD PÖTTER
Trotz eines Schadens von bis zu 40 Milliarden Dollar durch die Terroranschläge in den USA steht die Versicherungswirtschaft vor dem Aufschwung. Versicherer und Rückversicherer erwarten höhere Risiken, steigende Preise und damit bessere Geschäfte. Die Branche steht vor einem Umbau: Kleinere Unternehmen werden verschwinden, Versicherungen werden Risiken völlig neu einschätzen und Kunden am Risiko stärker beteiligen. „Mit den alten Konzepten vor allem in der Pharma- und Chemieindustrie kommen wir nicht weiter“, sagt etwa der Chef des Industrieversicherers XL-Winterthur, Willi Suter, zur taz.
Die Versicherer erwarten einen Boom. „Die Kunden werden mehr versichern, und das zu höheren Preisen“, prognostiziert Holger Verwold von der Hannover Rück. In den letzten Jahren klagten Versicherer über rote Zahlen. „Die Prämien waren seit Anfang der Neunzigerjahre stark unter Druck“, erinnert sich Regine Kaiser von der Münchner Rück. Niedrige Einnahmen und hohe Schäden haben dazu geführt, dass das Unternehmen im letzten Jahr für jeden Euro Beitragsgelder 1,15 Euro an Schäden und Kosten ausgegeben hat. „Wir werden schlecht tarifiertes durch risikogerecht tarifiertes Geschäft ersetzen“, hieß es bereits im August.
Dabei wird den Unternehmen die Katastrophe von New York helfen. Ein derartiger Großschadensfall bereinigt den Markt, hat Martin Nell vom Institut für Versicherungslehre der Uni Hamburg beobachtet. Weniger Anbieter und mehr Nachfrage nach Versicherungen lassen die Preise steigen. Nach drei bis fünf Jahren ist der Markt wieder so attraktiv, dass verstärkt kleine Unternehmen auftauchen. Das lässt die Preise fallen, bis der nächste „Großschaden“ eintritt. Der Zyklus beginnt von vorn.
Für Versicherer und Unternehmer ist klar: Absicherung von Industrieanlagen, Haftung gegenüber Dritten oder Betriebsunterbrechung werden wesentlich teurer. Insgesamt könnten die Prämien für alle Versicherungen um 20 bis 30 Prozent steigen, schätzen Insider. Martin Nell erinnert daran, dass nach dem Hurrikan Andrew 1992 Versicherungen gegen Sturmschäden sogar um 100 Prozent teurer wurden.
Die Unternehmen klagen bereits, Versicherungen würden schwerer zu erlangen sein und teurer. Konzerne wie Siemens, Miele oder BASF, aber auch Mittelständler merken, dass die Versicherer sich zurückhalten. Winterthur-Chef Suter sieht das Ende der automatischen Deckung für viele Risiken voraus: In Zukunft würden die Rückversicherer jedes Risiko gesondert prüfen, Kunden könnten ein Teil des Risikos selbst tragen. Andere Experten erwarten, dass die Versicherer Schäden durch Terrorismus ebenso aus ihren Verträgen entfernen wie sie es bisher mit Schäden aus Kriegen tun. Offiziell kaum betroffen sind gerade die sensibelsten Anlagen: Über eine Prämienerhöhung für die Versicherungen von Atomkraftwerken werde derzeit nicht verhandelt, heißt es von der Deutschen kernreaktor-Versicherungsgemeinschaft (DKVG). Ohnehin sind die Atomanlagen nur bis zu einem Schaden von 500 Millionen Mark durch Privatversicherungen gedeckt. Weitere 500 Millionen deckt der Staat, und für noch einmal vier Milliarden Mark haben sich die AKW-Betreiber gegenseitigen Versicherungsschutz versprochen.
Wie hoch die Prämien sind, liegt an den Szenarien, die die Unternehmen entwerfen. Nicht jede Versicherung trifft dabei die Realität so erschreckend genau wie die Hannover Rück: Deren größter Schadensprognose war bis zum 11. September der Zusammenstoß zweier Jumbojets über Manhattan.
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