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„Alles ist Zahl“

■ Iannis-Xenakis-Klänge im Fallturm

Ein dickes Lob für die Deutsche Kammerphilharmonie, dass sie ihren dritten Einsatz beim Musikfest dafür nutzte, zeitgenössische Musik zu spielen: Die Musik unserer Jahrhunderte ist ansonsten kaum oder nur vereinzelt zu hören.

Bei einem internationalen Musikfest dieser Größenordnung ist das nicht zu verstehen – ein Blick aufs Hamburger Musikfest zeigt beispielhaft, was möglich wäre. Nun widmeten sich also einige MusikerInnen vor allem Werken des griechischen Komponisten Iannis Xenakis, der in diesem Frühjahr gestorben ist.

Und da Bremens berühmter Mathematiker mit dem Bundesverdienstkreuz, Heinz-Otto Peitgen, nicht nur Chaosforscher und Fan der „Fraktalen Geometrie“, sondern auch Musikliebhaber ist, wurde er zur Vorbereitung und Moderation des Konzertes herangezogen. Denn das Komponieren Iannis Xenakis' basiert auf unterschiedlichen mathematischen Konstruktionen, auf Mathematik und Physik, deren Bausteine er mit dem Computer und der Wahrscheinlichkeitsrechnung erarbeitete.

Es war gut, dass Peitgen, dessen „Moderation“ eher den Charaker eines Vortrages hatte, sich nicht zu sehr in die ihm fachfremde Musikwissenschaft verstieg, sondern das ausführte, was ihn persönlich interessierte: die tausende von Jahren alte Beziehung zwischen Mathematik/Architektur und Musik.

Da mussten wir von Pythagoras, der „Alles ist Zahl“ gesagt hatte, über Raphaels Vitruv-Menschen bis zu Bach und Le Corbusier heftig und kräftig springen, aber das machte richtig Spaß: Projektionen von optischen Täuschungen wie das berühmte Treppenbild von M.C. Escher, grafische Überlagerungen von Abständen, Entstehung von Superstrukturen durch ein millionenfaches Tempo von Punkten in einem Dreieck, die Wiederholung des Ganzen im Kleinen (Selbstähnlichkeit) und dergleichen mehr waren treffliches und interessantes Anschauungsmaterial des Denkens von Xenakis und auch des ungarischen Komponisten Györgyi Ligeti, dessen experiementelle Musik es Peitgen ebenfalls angetan hat.

Von Xenakis gab es „Psappha“, das Stefan Rapp für drei Schlagzeuger bearbeitet hat (statt einem): dass dadurch vieles rhythmisch schwieriger wurde, war zu sehen. Rapp, Markus Linke und Slavic Stakhov spielten die aufregende Rhythmusstudie für Fell-, Holz- und Metallinstrumente ebenso explosiv wie exakt. Doch das war nur das Präludium zum 4. Satz aus „Pléiades“ für sechs Schlagzeuger, einer Rhythmusevokation ohnegleichen. „Wer das einmal gehört hat, wird es nie mehr vergessen. Wer es kennt, freut sich immer wieder darauf“, meinte Peitgen zu Recht und wollte es nach dem dreistündigen Konzert nachts um eins gleich nochmal hören. Doch da streikten die MusikerInnen – ausser denn Genannten noch Ines Ellmann, Thomas Höfs und Andreas Heuwagen.

Die Solocellistin der Kammerphilharmonie, Tanja Tetzlaff, wagte sich an „Kottos“ und eröffnete eine atemberaubende Klangwelt: Vielleicht spielt sie das extrem schwere Stück noch etwas zu zaghaft. Caroline Kirchhoff spielte „Naama“ für Cembalo von Xenakis. In diesem Stück werden Rhythmen quasi maschinell behandelt und überdrehen sozusagen. In „Continuum“ für Cembalo von Ligeti versucht der Komponist, einzig durch das Tempo, aus Strukturen Klangfelder zu machen. Gefordertes Tempo: das gesamte Stück in weniger als vier Minuten, was 16 (!) Anschläge pro Sekunde bedeutet. Caroline Kirchhoff löste das brillant, in nur dreieinhalb Minuten. Auch in „Hungarian Rock“ verschwimmt durch das Tempo die durchaus vorhandene Struktur.

Der junge Xenakis hat einmal versucht, die Musik von Johann Sebastian Bach in Formeln zu setzen. Anlass genug, ihm an diesem Abend eine Referenz zu erweisen: Glänzend machten das Tanja Tetzlaff und Carsten Lohff am Cembalo, der neu engagierte Professor für historische Tasteninstrumente an der Bremer Hochschule für Musik. Das Konzert im Fallturm an der Uni gab es zweimal hintereinander: Unser Bürgermeister Henning Scherf war so begeistert, dass er sich beide anhörte.

Ute Schalz-Laurenze

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