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Aus dem Lauf heraus

Das Feld ist dicht wie das Webmuster einer Patchworkdecke, aus der Reihe tanzen nicht drin. Beim Berlin-Marathon ist längst nicht alles Banane, aber ständig soll man trinken und irgendwas essen

von PETRA WELZEL (Text) und KARSTEN THIELKER (Fotos)

„Du musst trinken!“, sagen L. und P. Ich habe noch nie getrunken. Die ganzen Tage, Monate, die ich 80 bis 100 Kilometer in der Woche gelaufen bin, habe ich während des Trainings keinen Schluck Wasser zu mir genommen. Auch nicht dann, wenn ich 35 Kilometer am Stück auf den Füßen runtergespult habe. Und jetzt soll ich trinken. Gleich schon am ersten Versorgungsstand nach fünf Kilometern. Ich lasse ihn links liegen.

L. trägt jetzt schon seit langem immer einen Gürtel um den Bauch, in dem auf dem Rücken vier kleine Plastikflaschen stecken, die wie Flachmänner aussehen. Früher hatte sie noch eine Bauchtasche umgeschnallt, in der Fläschchen in Form einer Zitrone auf ihre Entleerung warteten. Manchmal zog L. auch einen Riegel heraus. Mit Traubenzucker. Zur schnellen Energiezufuhr, wenn der Blutzuckerspiegel purzelt.

„Du musst was essen!“, sagen L. und P. und greifen bei Kilometer 10 nach einem Stück Obst. Ich habe noch nie etwas gegessen, wenn ich laufe. Das ist wie Fast-Food-Essen im Gehen. Unbekömmlich. Andererseits bin ich auch noch nie 42 Kilometer am Stück gerannt. Vielleicht sind 35 Kilometer ja nur Kinkerlitzchen. Nicht der Rede wert. Sieben Kilometer mehr, das könnte ein gewaltiger Unterschied sein. Womöglich kommt’s wie beim Autofahren: Man fährt auf Reserve und denkt, das reicht noch dicke bis zum Ziel, und plötzlich ist der Tank leer und die Maschine macht keinen Mucks mehr. Also nehme ich mir ein Stück Banane.

Ich hätte es besser gelassen. Die nächsten zehn Kilometer kaue ich immer wieder drauf rum. Es will einfach nicht im Magen bleiben und schiebt sich in regelmäßigen Abständen durch den Zwölffingerdarm die Speiseröhre hinauf. Bei Kilometer 20 versuche ich es mit Runterspülen. Sonst geht es mir gut.

L. haben P. und ich aus den Augen verloren, weil sie irgendwo hinter uns läuft. Das Feld ist noch dicht wie das Webmuster einer Patchworkdecke. Gelegentlich ruft jemand vom Straßenrand unsere Namen. Manchmal erkennen wir sogar den Rufer. Das Lächeln fällt noch leicht. Trotz des Asphalts habe ich das Gefühl, auf Wolken zu laufen. Wenn am Rand Musik groovt, ist mir nach Tanzen. Aber aus der Reihe tanzen ist nicht drin. Es sei denn, ich liefe im Kostüm. So was fällt auf.

P. trinkt und isst immer noch an jeder Ausgabe ein wenig. Ich bin froh, dass ich erst mal alles geschluckt habe. Jetzt keine Experimente mehr. Wir unterhalten uns, wie wir das sonst auch tun. P. schaut alle paar Kilometer auf die Uhr und ermittelt unseren Schnitt auf einem Kilometer. Knapp sechs Minuten inzwischen. Mit fünf Minuten dreißig haben wir angefangen. Na ja, vor dem Besenwagen werden wir es schon ins Ziel schaffen.

Unter den Eichen stehen Freunde. Ich kann immer noch lachen. Das vergeht mir erst nach Kilometer 35. Diese Marke ist am Platz, der sich Wilder Eber nennt. Eigentlich möchte ich noch einmal das Tempo erhöhen, aber mein Tank ist leer. Das rote Lämpchen flackert nur noch müde. Die Karosserie schreit nach Ölung. Ich versuche es mit einem Stück Apfel. Es geht eher schlecht. Aber es geht. Ich laufe noch. Sieben Kilometer und einhundertfünfundneunzig Meter.

Im Ziel schnappe ich mir zwei Becher Wasser und eine ganze Banane. Ich frage einen Menschen, der wie ein Helfer ausschaut, ob man hier auch irgendwo einen neuen Rücken bekommt. Nein, leider nicht. Na, dann eben vielleicht im nächsten Jahr. Denn sein Verfallsdatum scheint mir fortgeschritten.

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