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Warnung vor Panikverkauf

Das Deutsche Aktieninstitut hat in einer Kurzstudie die Auswirkungen von vier weltweiten Krisen auf die Aktienindizes untersucht. Dax und MSCI brauchten mitunter vier Jahre, bis sie sich erholt hatten

„In der gegenwärtigen Lage sollten gerade die privaten Anleger sorgfältig prüfen, ob sie Transaktionen an der Börse tätigen“, rät Rüdiger von Rosen, Leiter des Deutschen Aktieninstitutes (DAI) in Frankfurt. Denn solange sich die politische Lage nicht kläre, könne niemand wissen, wann „die Tiefststände der Kurse erreicht sind“, kommentiert er eine Kurzstudie über den „Einfluss von Krisen auf die Börsenkursentwicklung“, die das Institut dieser Tage veröffentlicht hat. Darin wird untersucht, inwiefern große politische Ereignisse in den vergangenen 30 Jahren die wirtschaftliche Entwicklung an den Aktienmärkten beeinflusst haben. Betrachtet wurden dabei die vier größten Crashs.

Den Anfang machte demnach die Ölkrise der 70er-Jahre. Ausgangspunkt: „der israelisch-arabische Yom-Kippur-Krieg im Oktober 1973“ sowie das „Endstadium des Vietnamkrieges“. Die Ölpreiserhöhung der Opec-Staaten hätten dann endgültig zu einer wirtschaftlichen Krise und sinkenden Aktienkursen geführt. Allerdings sei der absolute Tiefststand erst knapp ein Jahr nach Ausbruch der Krise erreicht worden. „Die Kursverluste betrugen dabei zwischen 30 und 45 Prozent“, so das DAI. Die Erholungsphase habe dabei „vergleichsweise lange“ gedauert. Einer Tabelle ist zu entnehmen: Stand der Dax vor der Krise im Oktober 1973 noch bei rund 316 Punkten, sank er bis September 1974 auf 261 Punkte; die Werte wurden rückberechnet, da es vor 1987 noch keinen Dax gab. Bis der Index wieder auf den Stand vor der Krise stieg, vergingen immerhin mehr als zwei Jahre, ermittelten die DAI-Experten. Bis der Kurs der europäischen Werte im Index MSCI Europa wieder den Vorkrisenstand erreichte, vergingen gar vier Jahre, bei einem zwischenzeitlichen Verlust von mehr als 42 Prozent.

Während der zweiten Krise in der DAI-Betrachtung – genannt „Börsencrash 1987“ – stürzten die Märkte weltweit im Oktober 1987 in den Keller – „ohne dass ein konkreter politischer Anlass für diese Entwicklung gegeben war“. Das Institut sieht in dem Crash eine Reaktion auf die „vorangegangenen hohen Kurssteigerungen“, mithin primär eine „Krise der Finanzmärkte“. Die Indizes hätten „sehr schnell sehr stark“ nachgegeben, sich aber auch rasch wieder erholt. Der Dax beispielsweise verlor fast 45 Prozent von 1.547,5 Punkten vor der Krise (September 87) auf 935,8 Punkte (Januar 88). Bis er den Vorkrisenstand erreichte, dauerte es 18 Monate. Der MSCI Europa brauchte 17 und der MSCI World nur 11 Monate, bis die Verluste von 22 beziehungsweise 19 Prozent wieder aufgefangen waren.

Der irakische Angriff auf Kuwait im August 1990 – der dritte Börsensturz der letzten 30 Jahre – führte nach DAI-Angaben an den Börsen der Welt „meist zu geringeren und kürzeren Kursrückgängen als die Ölkrise“ – zumindest, wenn man die weltweite Entwicklung betrachtet. Der MSCI World verlor zwischen Juli 1990 und September des gleichen Jahres rund 21 Prozent und erholte sich innerhalb von fünf Monaten. Der MSCI USA brauchte nur vier Monate, der MSCI Europa aber 19 Monate. Die weiteste Durststrecke hatte der Dax zurückzulegen: Er verlor von Juli (1.919,1 Punkte) bis September (1.334,9 Punkte) jenes Jahres immerhin 32 Prozent – und schleppte sich dann 35 Monate lang empor, bis er den Vorkrisenstand erreichte. Ursache laut Aktieninstitut: Die in Deutschland und Europa „durch den Fall der Mauer verursachte Sonderkonjunktur“ sei zusätzlich abgeflaut, die Kursrückgänge waren hier deshalb „deutlich nachhaltiger als in den USA“. Mit Beginn der militärischen Aktionen des Golfkrieges im Januar 1991, so die Studie, seien die Kurse weltweit wieder deutlich gestiegen: „Die Militäraktionen wurden von den Märkten offensichtlich als Klärung der Krisensituation und somit als Ende der belastenden Ungewissheit interpretiert.“

Als vierten großen Börsencrash analysierte man die so genannte Asienkrise: „Der Zusammenbruch fester Wechselkurssysteme in Ostasien und die Probleme Russlands bei der Schuldentilgung führten zu starken Kursrückgängen im Sommer 1998“, heißt es in dem Frankfurter Papier. Auch hier wiederum war der Dax „besonders betroffen“ und brauchte bis zum Erreichen des Standes vor der Krise mit 16 Monaten die weltweit längste Erholungsphase. Stand der Index im Juli 1998 noch bei 5.873,9 Punkten, sackte er bis September des Jahres auf 4.430,9 Punkte. Er verlor dabei rund 25 Prozent. Die Vergleichsparameter: Der MSCI World verlor 13,4 Prozent und erholte sich innerhalb von vier Monaten, der europäische MSCI-Index verlor 16 Prozent (Erholung: neun Monate), der MSCI USA sackte um knapp 15 Prozent (vier Monate).

Fazit des DAI: Kursrückgänge auf Grund politischer Krisen „dauern nach den Erfahrungen der Vergangenheit meist deutlich länger als reine Finanzmarktkrisen“. Zudem setzten sich „die Kursverluste nach Ausbruch der Krise oftmals noch über mehrere Monate fort“. Ein Grund dafür sei, so die Analyse, die „bei politischen Krisen länger andauernde Unsicherheit über die weitere Entwicklung“. Und in dieser „Phase anhaltender Unsicherheit befinden wir uns derzeit nach den Terroranschlägen in den USA“.

Auffällig ist, dass bei drei von vier Krise der Dax bis zur Erholung deutlich länger brauchte als der Vergleichsindex MSCI. Institutsmitarbeiter Franz-Josef Leven vermutet als Ursache, dass die Deutschen den Aktien „immer schon kritisch gegenüberstanden“ – was letztlich aber kein Problem der Finanzmärkte sei: „Krisen der Märkte greifen in Deutschland tiefer in die Psyche als in anderen Ländern.“

Einen Blick in die Zukunft wagen die Experten des Aktieninstituts nicht. Aus den historischen Erfahrungen könne kein Schluss gezogen werden, wann „die Kursverluste wieder aufgeholt“ würden. Ein direkter Vergleich zur aktuellen Situation sei „nur mit größter Vorsicht möglich“, von Investoren werde jetzt „Geduld und Nervenstärke“ gefordert. Nur „risikobewusste Anleger“ würden sich derzeit „aktiv an der Börse engagieren“, so von Rosen. Franz-Josef Leven rät, sich nicht auf eine Branche zu konzentrieren, sondern zu streuen. Und: „Nie das ganze Geld in Aktien stecken, schon gar keine Kredite für den Aktienkauf aufnehmen.“

Solange sich „die politische Lage nicht klärt“, so DAI-Leiter Rüdiger von Rosen, „kann niemand wissen, wann die Tiefststände der Kurse erreicht sind“. Er empfiehlt Besonnenheit: „Vor allem Panikverkäufe vermeiden.“ ANDREAS LOHSE

Die Studie findet man unter: www.dai.de/publikationen

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