piwik no script img

Pflicht: Heiliger Krieg

Frömmigkeit und Gewalt hängen in Pakistans Koranschulen und Gesellschaft eng zusammen

aus Islamabad BERNARD IMHASLY

Islamabads Faysal-Moschee ist das einzige Wahrzeichen dieser Beamtenstadt. Die Minarette des Gebetshauses überragen hoch das Grün der mit Bäumen überwachsenen Alleen. Die vier Türme enden nicht in den traditionellen Kuppelhäuschen, unter denen der Muezzin – oder dessen Lautsprecheranlage – die Gläubigen zum Gebet aufruft. Sie verjüngen sich vielmehr zu scharfen Spitzen, die sie von weitem wie Raketen aussehen lassen. Die Assoziation mit Waffen stellt sich auch sonst rasch ein. Vor der modernen Gebetshalle steht das Grabmal von General Zia al-Haq. Der Grabstein ist mit Tüchern beflaggt, auf denen Koransuren den Gläubigen zum Gedenken an die Toten aufrufen. Ein verblichenes Foto hängt an der Balustrade. Es zeigt einen Kampfhubschrauber, der eine Bombe abgeworfen hat, die in einer Wolke von Staub und Rauch explodiert.

Die Extreme von Frömmigkeit und Kampfruf sind auch in der weiteren Umgebung der Faysal-Moschee präsent. In einem Nebengebäude ist die Islamische Universität untergebracht, ein paar hundert Meter weiter, in einem Wäldchen, steht die Al-Faridiya-Madrassa (Koranschule). An der Universität wird neben moderner Jurisprudenz auch die Scharia gelehrt, es gibt ein „Department for Koranic Studies“, doch auch eines für vergleichende Religionswissenschaft. Daneben bietet die Universität ihren 5.000 Studenten aus vielen Ländern Kurse für Business Administration und Informationstechnologie an.

„Der Islam ist eine tolerante Religion“, sagt der Universitätssekretär Saeed Khan mit Inbrunst. „Das einzige, was ihn vom heutigen Christentum unterscheidet, ist dies: Er unterscheidet nicht zwischen dem Sakralen und dem Profanen. Er fordert vielmehr beides, Frömmigkeit und Fähigkeit.“ Khan kritisiert am säkularisierten Westen, dass er nur noch auf Fähigkeit setzt und die Frömmigkeit vernachlässigt. „Es gibt auch Leute, die nur auf Frömmigkeit setzen und ihre Kompetenzen nicht entwickeln. Beides führt zum Missbrauch. Im einen Fall wird die Religion zum Gespött, im anderen Fall fördert man religiöse Intoleranz.“ Der heutige Westen rümpfe die Nase über Muslime, die „unter großen Schwierigkeiten“ versuchen, sich in der modernen Welt zurechtzufinden, ohne ihre Religion über Bord zu werfen.

Doch hat er auch Beispiele für Frömmigkeit ohne Fähigkeit? Ist etwa Mullah Omar eines, der Taliban-Führer, der auch in Pakistan Kultstatus genießt? Saeed Khans Antwort kommt nach ein paar bedächtigen Schlucken aus der Teetasse. Es ist ein abwägendes Ja. Er findet, dass auch hier der Westen viel zu hastig geurteilt hat, weil man den Taliban nie Zeit und Raum gab, ihren simplen Glauben allmählich zu verfeinern. Doch die Frage, ob etwa die Al-Faridiya-Madrassa nebenan zu viel Frömmigkeit lehrt, bejaht er sofort.

Das rohe Holztor der Madrassa, das in die hohe weiß getünchte Ziegelmauer eingelassen ist, steht offen. Doch im Nu wird der Besucher, noch bevor er die Schwelle überschreitet, von jungen Männern umringt, und ein bärtiger Mann stellt sich ihm in den Weg. Er fragt nach dem Grund des Besuchs, bewegt dann aber sofort wieder seine Lippen im Gebet und dreht die Gebetsschnur. Abu Aziz, der Leiter der Madrassa, komme erst anderntags wieder, und er selber könne nicht mit einem Fremden sprechen. Misstrauen ist spürbar, und der pakistanische Begleiter wird von den Schülern mit Fragen bestürmt, woher der Fremde komme, wer er sei, was er hier mache. Während dieser mit Respekt behandelt wird, werden die Fragen an den Begleiter, so erzählt dieser später, rasch zu Vorwürfen: Wie er als Muslim einen Ungläubigen hierher bringen könne, ob er ein Kollaborateur der westlichen Medien sei, ob er nicht wisse, dass diese nur Schlechtes über den Islam schrieben. Der Besuch endet, noch bevor er begonnen hat. Ein erneuter Versuch am anderen Tag endet ebenso rasch – Abu Aziz empfange niemand.

Die Al-Faridiya-Madrassa ist eine der mindestens 10.000 Religionsschulen, die in den letzten 15 Jahren überall in Pakistan gebaut worden sind. Sie haben ihren Ursprung in der Verfassungsänderung von General Zia al-Haq aus dem Jahr 1985, die Pakistan zum islamischen Staat erklärte und die Scharia zu seinem obersten Recht. Die zahlreichen islamischen Sekten, die zum Teil auch ihre politischen Ableger hatten, gründeten, zum Teil mit staatlicher Hilfe, Religionsschulen, um den Nachwuchs zu stärken. Der Ansporn dafür entstand auch aus der Rivalität unter den verschiedenen Glaubensrichtungen. Die Gesetzgebung Zias war einseitig prosunnitisch, und dies führte zu einer zunehmenden Marginalisierung der Schiiten. Auch innerhalb der Sunniten gibt es verschiedene Schulen.

Die einseitige Färbung von Zias Gesetzgebung führte nicht nur zu einem Wettrennen bei der Weiterverbreitung der eigenen Ansichten, für welche der Bau von Madrassen ein wichtiges Instrument war. Die Polarisierung zwischen Schiiten (15 Prozent der Bevölkerung) und Sunniten (82 Prozent) führte auch, so der indische Wissenschafter Kalim Bahadur, zu einer steigenden Gewaltbereitschaft. Im Jahr der Einführung der Scharia wurde die sunnitische „Sipah e-Sahaba“ aus der Taufe gehoben, welche die Schiiten als Nichtmuslime verbannt haben wollte, wenn nötig mit den Mitteln des „heiligen Kriegs“. Eine analoge Verteidigungsorganisation der Schiiten, „Sipah e-Mohammad“, führte zu Auseinandersetzungen, die im Lauf der letzten zehn Jahre zahlreiche Opfer forderte. Die Madrassen machten diese Entwicklung mit. Sobald einmal der „heilige Krieg“ als religiöse Pflicht etabliert war, wurde die Waffenausbildung zum Pflichtfach, umso mehr, als inzwischen auch der Kampf gegen den Kommunismus im benachbarten Afghanistan zum Dschihad erhoben war.

Die meisten Taliban stammten aus den afghanischen Flüchtlingslagern, und ähnlich steht es mit den Schülern, welche in den Madrassen quer durch das Land studieren. Saeed Khan von der Islamischen Universität sagt, das Phänomen der Madrassen sei nur in zweiter Linie ein religiöses. „Die meisten Schüler der Al-Faridiya-Madrassa sind die Kinder von armen Eltern, die sich keine normale Schule leisten können. Die Islamschulen offerieren ihnen kostenlos Essen, Kleider, eine gute körperliche Ausbildung.“ Saeeds Rezept für religiöse Toleranz ist daher einfach: „Wirtschaftliche Entwicklung.“ Doch dies genügt nicht, fügt er angesichts der Ereignisse nach dem 11. September hinzu. „Die Massaker haben uns bewusst gemacht, wie groß die Bereitschaft vieler Menschen ist, zu sterben. Können wir dagegen einfach das Unterrichtsfach ,heiliger Krieg‘ abschaffen und Toleranz predigen? Es hätte keine Wirkung. Der Westen muss endlich die Ursachen angehen – zum Beispiel die Missachtung der Rechte der Palästinenser. Für diesen Dschihad würden Sie auch an der Universität Freiwillige finden, nicht nur bei Al-Faridiya.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen