: Nazis sind unattraktiv
Nur wenige Hundert Gegendemonstranten stellen sich dem Marsch von rund 1.000 Neonazis auf dem Ku’damm entgegen. Rechtsextreme Redner begrüßen trotz Verbot die Anschläge in den USA
von VIRGINIE HERZ und HEIKE KLEFFNER
Die schwarz-verhüllten Plastikpuppen mit den weißen Schildern „Null Bock auf Nazis“ im Schaufenster eines Lederhändlers am Ku’damm blieben die Ausnahme. Nur wenige Geschäfte folgten dem Aufruf des Einzelhandelsverbands und verhüllten gestern ihre Ladenfenster als Zeichen des Protestes gegen den Aufmarsch von knapp 1.000 Neonazis. Schwarzes Tuch boten unter anderen Buchhändler Hugendubel, C&A und das Theater am Ku’damm. H&M hatte sich für weißen Stoff entschieden, während KaDeWe und Wertheim schlicht die Rollläden herunterließen. Bei Schuhtick konnten Passanten immerhin die Erklärung „Wir stehen für Toleranz und Demokratie, und wer diese Werte mit Füßen tritt, dem zeigen wir die kalte Schulter“ auf dem verhüllten Fenster lesen.
Die kalte Schulter zeigte aber auch ein Großteil der bürgerlichen Zivilgesellschaft den Schülern, Auszubildenden, Studenten und autonomen Antifaschisten, die die Mehrzahl der rund achthundert Gegendemonstranten ausmachten und trotz stundenlangen Regens direkt an der Route der Neonazis protestierten. Weitab vom Geschehen kamen an der Tauenzienstraße statt der erwarteten 10.000 nur 1.200 Zuhörer zur Kundgebung der Prominenten-Initiative „Europa ohne Rassismus“.
Direkt an der Demostrecke kam es derweil anfangs zu hitzigem Gedränge zwischen den Skinheads, dem dichten Polizeikordon und den Gegendemonstranten. Sichtlich verunsichert duckten sich die aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Neonazis unter lautstarken „Nazis Raus“ und „Stalingrad“-Rufen. Proteste gab es auch von Schaulustigen: „Die Polizei geht immer nur gegen die jungen Leute vor, die was gegen die Glatzen machen“, erboste sich eine 40-jährige Touristin aus Köln. Tatsächlich zeigte sich die Polizei – die angekündigt hatte, „mit den besten Kräften im Einsatz“ zu sein– von der gewohnten Seite. Gegendemonstranten mussten sich Hiebe, Schläge und Beschimpfungen gefallen lassen, um das Konzept „verbale Proteste zuzulassen, alles andere aber zu unterbinden“, so Einsatzleiter Michael Kreckel, durchzusetzen.
Rund 4.000 Polizisten sorgten dafür, dass die „Nazis raus“-Rufe immer spärlicher wurden Potentielle Störer wurden erst gar nicht in die Nähe der „Wir sind Deutschlands Zukunft“ gröhlenden Skinheads gelassen.
Denen hatte die Innenverwaltung den geplanten Ku‘damm-Bummel erheblich verkürzt: Schon wenige hundert Meter nach dem Auftaktort am S-Bahnhof Halensee fanden sich die Neonazis in Seitenstraßen wieder und wurden zum S-Bahnhof Witzleben geleitet. Dort führten Redner aus der Führungsriege organisierter Neonazis und der NPD das von der Innenverwaltung ausgesprochene Verbot, die Anschläge in den USA zu verherrlichen, ad absurdum.
Der NPD-Anwalt und offene Antisemit Horst Mahler kommentierte das Redeverbot mit einer roten „Maulkorb“-Binde. Und antiamerikanische Sprüche kamen stattdessen von Steffen Hupka, ex-Führungskader der verbotenen Nationalistischen Front, der seinen Wunsch „Tod den USA“ mit dem Zusatz „als Macht in der Welt“ garnierte und die Bundesrepublik als „Vasallen-Staat der USA“ verhöhnte. Auch Christian Worch, Anführer der militanten Freien Kameradschaften, die den Aufmarsch mit mit der revanchistischen Losung „Deutschland ist mehr als die BRD“ angeführt hatten, machte aus seiner Zustimmung für die Anschläge keinen Hehl. Mehrfach bezeichneten Redner die Anschläge als „logische Konsequenz aus der Politik der USA“. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt behauptete, US-Amerikaner hätten nach 1945 deutsche Kriegsgefangene ermordet.
Bei der Abfahrt der Rechten per S-Bahn-Sonderfahrt flogen noch Steine über die Autobahn. Weitere Zusammenstöße gab es am Bahnhof Zoo. Der Ermittlungsausschuss meldete rund 40 Festnahmen von Antifaschisten.
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