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Das Tränentier Gottes

Legendenumrankt und geheimnisumwittert: Saladin. Porträt eines Jahrtausendhelden

Mekka, Neu-Delhi, New York – ausgiebige Reisen ließenseine Weisheit enorm wachsen

Er kreuzte die Schwerter und Becher mit Richard Löwenherz und Prinz Eisenherz. Er liebte Frauen wie Kleopatra und Petra Kelly. Er gilt als größter Held der islamischen Welt, und manchem Muslim fehlt er im Jetzt und Heute: Saladin. Legendenumrankt und geheimnisumwittert ist der alte Morgenländer, doch im Abendland weiß kaum jemand, wer er wirklich war, woher er kam, was er wurde. Weshalb wir sie nun hervorzaubern: Saladins wahre Geschichte.

Wissenschaftler, Diplomat, Restaurantbesitzer – viele Aufgaben prägten sein Leben. Mekka, Neu-Delhi, New York – ausgiebige Reisen ließen seine Weisheit wachsen. Goethe, Gandhi, Michael Jordan – er kannte sie alle und tauschte mit ihnen Gedanken aus. Doch liegt seine Kindheit und Jugend weithin im Dunkel.

Saladin wurde 1137 im irakischen Tikrit geboren. Frühestes Lebenszeichen ist ein Schulzeugnis, das ihn als eigenwilligen Pennäler ausweist. Früh foppt der kurdische Springinsfeld seine Lehrer und zeigt schon damals seine ausgeprägte Abneigung gegen Autoritäten. Legendär die von im entwickelte Parole anlässlich einer Demonstration gegen die irakische Obrigkeit: „Hopp, hopp, hopp – Sultaninen stopp.“ Was ihm nicht nur einen Eintrag ins Klassenbuch, sondern auch seinen lebenslangen Spitznamen einbringt: „Sultan“.

Eine Lehre als Schreiner bricht der sympathische Tikriter 1159 ab, um auf Pferdezucht umzusatteln. So lernt er das Kriegswerk und taucht erstmals 1180 in ägyptischen Chroniken als Gegenkreuzzieher auf. Schnell arbeitet er sich an die Spitze einer munteren Kämpengruppe, die für ihre Krummschwerterscherze berühmt ist und manchem Christen das Lachen lehrt.

Schließlich erobert „Sultan“, wie ihn jetzt auch seine Gefolgsleute rufen, im Jahr 1187 Jerusalem: „Doch die alte Schlampe ließ mich bald sitzen und brannte mit einem kreolischen Baumwollplantagenbesitzer durch“, wie Saladin einmal in einem Interview mit einem BBC-Reporter bekannte. Verbittert zieht sich der Verschmähte in die Einsamkeit der Wüste zurück, vergisst in nur drei Monaten den kompletten Koran, um ihn dann in sechs Monaten ein zweites Mal auswendig zu lernen. Eine Leistung, die ihm den Ehrentitel „Tränentier Gottes“ einbringt.

Leicht dehydriert entschließt sich Saladin 1486, die neue Welt via Wasserweg kennenzulernen. Auf einem Schiff Vasco da Gamas gelangt er jedoch irrtümlich nach Indien. In der portugiesischen Kolonie Goa eröffnet er ein Fischrestaurant für Seeleute aus aller Herren Länder. Im „Chez Sultan“ schwirren Gerüchte und Gewürze durch den Raum, Saladin fühlt sich bald in allen Sprachen zu Hause. Als Dolmetscher folgt er deshalb 1527 Marco Polo nach China und übersetzt Lessings „Nathan der Weise“ ins Mandarin. Das Fernweh quält ihn, so dass er die Seidenstraße entlang gen Westen zieht, wo sich seine Spur vorerst verliert. 1722 erscheint er dann urplötzlich am Hofe Ludwig des Vierzehnten, wird dort aber kaum wahrgenommen.

Enttäuscht von der westlichen Zivilisation kehrt Saladin im Jahr 1843 in seine Geburts- und Heimatstadt Kairo zurück und erfindet dort in einer Dachkammer die Schreckschraube, die islamische Antwort auf die technische Revolution. Eine aufwendige Aluminiumapparatur, die es dem islamischen Konsumenten erlaubt, den äußeren Fortschritt mit einer inneren Rückständigkeit zu kontern. Aus der Reibung widerlaufender Wahrnehmungen entwickelt sich das Gefühl ewiger Benachteiligung: „Schuld sind immer die anderen“, murmelte der Benutzer wie in Trance, bis er selbst daran glaubt. Noch heute findet die Schreckschraube in vielen islamischen Haushalten nach dem Abendessen ihre Verwendung. Saladin wird berühmt und enorm reich, investiert allerdings sein gesamtes Vermögen am Neuen Markt, wo er es prompt wieder verliert.

Verarmt erinnert er sich einiger Kontakte und schreibt Karl Marx an, der ihm eine Sekretärsstelle offeriert. Ein Angebot, das Saladin ausschlägt. Lieber überwintert er während der drei Weltkriege im Niltal.

Absolutismus, Sozialismus, Islamismus – er hat alles überlebt und wurde schließlich ein weiser Mann. Sein Einfluss auf die Kulturen der Welt ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. 1972 wurde er sogar als römischer Papst ins Gespräch gebracht. Gestern, am 4. 10. 2001, starb der große Morgenländer Saladin plötzlich und unerwartet in seinem Schweizer Exil. MICHAEL RINGEL

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