: „Nur eine halbe Solidarität“
Die ARD darf den Moderator der „Tagesthemen“ nicht fallen lassen, sagt Bernd Gäbler. Der Medienexperte und Chef des Grimme-Instituts beklagt einen Trend zur Uniformität
taz: Muss sich Ulrich Wickert jetzt einen neuen Job suchen?
Bernd Gäbler: Wenn Peter Scholl-Latour, der sich öffentlich darüber wundert, dass Orientalen diesen Anschlag zustande gebracht haben, den Deutschen Fernsehpreis bekommt – dann muss Uli Wickert selbstverständlich Moderator der „Tagesthemen“ bleiben. Wickert hat einen Versuch gemacht, die Ursachen und Hintergründe des Terror etwas tiefer auszuleuchten. Ganz klar: Die Formulierung bezüglich Bush ist bescheuert, ein Missgriff. Für diese Formulierung hat er sich entschuldigt. Jetzt soll man aber die Kirche im Dorf lassen: Wickert ist Journalist und nicht Regierungssprecher.
Frau Merkel fordert aber via Bild „TV-Verbot“ für Wickert.
Sie will ja auch die Bundeswehr im Innern einsetzen. Im Kern aber ist es eine Kampagne von Bild. Sie verbellt jetzt Wickert. Ich finde das peinlich. Das Letzte, was wir in diesem Land brauchen, ist eine Gedankenpolizei – womöglich geführt von der Bild-Zeitung. In den USA gibt es beides: einerseits Zusammenstehen und Solidarität – und andererseits eine pluralistische politische Debatte. Den Aufruf von Susan Sontag: Wir sollen zusammenstehen, uns aber nicht verdummen lassen – so etwas brauchen wir auch hierzulande. Darum sehe ich hier nicht nur das Ausnutzen eines Fehlers von Wickert. Sondern auch die gefährliche Tendenz zu einer Art geistiger Uniformierung, die kritische Fragen an die Adresse der USA schon im Keim ersticken will.
Sind dies Vorzeichen einer allgemeinen Forderung nach medialem Korpsgeist?
Man muss den Artikel von Ulrich Wickert nicht in allen Passagen toll finden. Aber wenn man ihn insgesamt liest, ahnt man in etwa, was er meint: Der Westen soll nicht so materialistisch und überheblich sein. Die Substanz seiner Kritik ist berechtigt. Wir haben eine komische Art in diesem Land, zu meinen: Entweder man ist einig oder man darf denken. Das darf es nicht geben. Solche allgemeine Zustimmungspflicht ist gefährlich.
Der NDR erklärt: Wickert habe „Unfug“ geschrieben, durch seine Entschuldigung sei die Sache aber „erledigt“. Reicht das angesichts der Forderungen aus der Union?
Das ist eine Art Halbsolidarität. Ich vermute, dass dem NDR nicht allzu gut gefällt, dass Wickert nebenbei so viel an journalistischer Tätigkeit treibt. Aber das kann der NDR auf andere Weise klären. Für die bescheuerte Formulierung hat sich Wickert entschuldigt. Jetzt gehört es sich, solidarisch zu ihm zu halten – und dem, was an Formierungsabsichten hinter der Kampagne steht, nicht nachzugeben.
INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG
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