: Silberstreif für Schuldner
■ 600 Mark mehr dürfen Schuldner in Zukunft vor dem Kuckuck retten / Pfandungshöchstgrenze steigt, die Wohlverhaltenszeit wird dafür kürzer
Bessere Zeiten für alle Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie aus ihren Schulden rauskommen oder ihre Kredite zurückzahlen sollen: Das erst zwei Jahre alte sogenannte „Verbraucherinsolvenzrecht“ wird reformiert.
Voraussichtlich ab dem kommenden Jahr muss eine SchuldnerIn nicht mehr vor Beginn des Verfahrens erst einmal rund 3.000 Mark für die entstehenden Verfahrenskosten aufbringen. Das war bisher der Fall, und man stellte sich die Frage, wie das gehen sollte, wenn man zahlungsunfähig war. Diese Kosten sollen ab 2002 aller Wahrscheinlichkeit nach zunächst gestundet werden, so dass das eigentliche Insolvenzverfahren beginnen kann.
Die sogenannte „Wohlverhaltensperiode“ oder auch „Treuhandphase“, in der die im Verfahren vereinbarten Rückzahlungen an die unterschiedlichen Gläubiger abgestottert werden, könnte zukünftig von jetzt sieben auf nur noch sechs Jahre reduziert werden. Danach ist das Verfahren beendet und man gilt als schuldenfrei. Anschließend wird das zuständige Gericht sehen, ob der nun schuldenfreie Mensch auch noch die Verfahrenskosten zurückzahlen kann. Nach höchstens zwei Jahren ist aber auch diese Abstotterei überstanden. Die Summe, die dann eventuell noch offen geblieben ist, übernimmt der Staat. Das ist die erste gute Nachricht für Menschen mit schmalen Geldbörsen.
Die zweite steht im engen Zusammenhang damit: Die Pfändungshöchstgrenzen sollen nach oben korrigiert werden. Bisher lag diese Grenze bei rund 1.220 Mark. Alles über dieser Summe konnte dem Betroffenen abgenommen werden. Dieser Betrag ist seit 1992 nicht mehr an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst worden. Statt aber nur eine geringfügige Anpassung vorzunehmen, verfolgt das Bundesjustizministerium einen ganz neuen Ansatz: Dem Verschuldeten wird mehr, als nur das Existenzminimum gelassen, die Pfändungsgrenze liegt demnächst voraussichtlich bei 1819 Mark, also 600 Mark höher, als bislang.
Dr. Lovis Wambach, Jurist bei der Verbraucherzentrale Bremen, interpretiert den Ansatz so, dass ein Anreiz erhalten bleiben soll, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Denn wozu sollte man noch arbeiten, wenn doch das ganze Geld gepfändet wird? Erst ab einem Netto-Einkommen von 1820 Mark wird einem Single ohne Unterhaltsverpflichtungen ein Teil des Lohns genommen. Hat man 1819 Mark, bleibt man verschont.
Der Verbraucherzentralenjurist vermutet, dass diese Änderung der Pfändungshöchstgrenzen „noch Wellen schlagen wird“. Schließlich würde es für Gläubiger dadurch schwieriger, ihre Außenstände einzutreiben. Wambach spekuliert, dass Handwerker möglicherweise ihre Rechnungen demnächst lieber im Voraus bezahlt haben wollen und Banken rigider in der Kreditvergabe werden könnten. Vielleicht steigen auch die Zinsen auf Kredite? Andereseits vermutet Wambach, dass bei größerem finanziellen Spielraum der Schuldner weniger Insolvenzverfahren eingeleitet werden müssten, weil mehr außergerichtliche Einigungen möglich würden.
In Deutschland gab es 1999 knapp drei Millionen Fälle von Überschuldung - eine aktuellere Zahl nennt der „Erste Armutsbericht- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ diesen Jahres nicht. In Bremen waren im Jahr 2001 26.000 Haushalte unfähig, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Das waren 3000 überschuldete Haushalte mehr als 1998.
Diese Steigerung erklärt sich Wambach damit, dass es den Leuten immer leichter gemacht wird, sich zu verschulden. Schnell genehmigte Bankkredite, Ratenkäufe, hohe Handyrechnungen oder Versandhausbestellungen - man merkt kaum, wie sich zunächst kleine Anleihen zu ernstzunehmenden Schulden anhäufen können. Und wenn einen dann noch die Arbeitlosigkeit erwischt, wird die zunächst erträglich erscheinende Ratenzahlung immer schwerer. In den 90er Jahren war Arbeitslosigkeit - laut Armutsbericht „das wesentlichste auslösende Moment für Verschuldungsprozesse“.
Ulrike Bendrat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen