: Ostdeutsche Trotzigkeit, etwas müde
„So bin ich und so war ich“: Die Liedermacherin Barbara Thalheim, in der DDR verehrt, gab ein fast unangenehm privates Konzert. Doch die Frau ist Profi, und das Publikum, mit ihr gealtert, schwelgte glücklich vereint in Nostalgie
Ihr Auftritt hat etwas Glamouröses. Kaum ist Barbara Thalheim aus dem Hintergrund auf die Bühne getreten, verströmt sie eine unglaubliche Energie. Ihre volle Haarmähne scheint auf die vergoldete Üppigkeit des Theaterraumes im Berliner Ensemble zu antworten. Doch weil sie schon am Anfang des Konzertes Zeilen wie „Ich bin so müd‘“ singt, vermischt sich der Glanz mit einer schwarzen Nüchternheit, mit einer Traurigkeit, die sie den ganzen Abend begleiten werden. Barbara Thalheim singt und spricht an diesem Freitagabend im Theater am Schiffbauerdamm, wo sie das erste Mal nach sechs Jahren wieder auftritt, viel vom Altwerden und vom Tod, aber auch von ihrem neuen Wohnort Neukölln, den sie hasst - und kommt so bei „ihrem“ Thema an, dem Osten und dem Westen.
„Das kann kein Ostberliner verstehen“, sagt sie über die Herrmannstraße und zieht dabei die gleichen Gräben, die sie schließen möchte: „Um uns ist es frostig geworden“, heißt es. Das Publikum klatscht am lautesten, wenn Barbara Thalheim ganz stark wird in ihrer ostdeutschen Trotzigkeit, ganz selbstbewusst in Liedzeilen wie „So bin ich und so war ich“ oder „Nach Jahren sind wir, was wir einst gewesen“. So hat sie nach langer Zeit auch ihre alten Lieder wieder herausgeholt, die sie schon nicht mehr singen wollte, ihren Hit von 1973 „Als ich vierzehn war“ und „Sehnsucht nach der Schönhauser“ von 1985.
Die Liedermacherin, die in der DDR verehrt und geliebt wurde, die, nachdem ihr Land untergegangen war, ihren Unmut über die „Westlichkeit der Welt“ unermüdlich herausrief, besiegelte 1995 im Berliner Ensemble ihren „Abgesang“ von der Bühne. Drei Jahre später fand sie, nach einer schweren Krankheit, zu ihr zurück. Sie dankt nun dem Haus, hier singen zu dürfen, um den Wunsch daran anzuschließen, dass dies auch für andere „ostsozialisierte“ Künstler möglich werden sollte. Sie erntet Beifall von einem Publikum, das wohl größtenteils wie sie aus dem Osten kommt und mit ihr älter geworden ist. Zu diesem Publikum hat sie größtes Vertrauen. Sie spricht von „euch“ und darüber, dass ihr das Singen wichtig ist, wie es ihr Leben nach ihrer Krebsoperation gerettet habe, genau wie „euer“ Applaus. Ihr Herz liegt auf der Zunge. Und da die Lieder des Abends an ihrem Leben entlang führen, wird ihre Kunst zu einem authentischen Lebensmitschnitt: „Ist es wahr, dass man nur singen kann, was man gelebt hat?“, fragt sie in ihrem Lied über Edith Piaf. Fast fühlt man sich unbehaglich bei so viel Nähe, bei diesem wenigen Abstand zu sich selbst. Es ist, als säße man ganz nah bei ihr, fast zu nah und ist beschämt über so viel Offenbarung – und doch gleichzeitig fasziniert über die professionelle Präsenz dieser Frau auf der Bühne.
Begleitet wird sie von dem französischen Akkordeonisten Jean Pacalet, seine Arrangements verhindern, dass die Lieder hinter der Person Barbara Thalheim verschwinden. Aber da es auch ein Abend für Barbara Thalheim ist, versäumt sie es, diesen glänzenden Musiker dem Publikum richtig vorzustellen, mit dem sie immer wieder seit 1993, nach ihrem Paris-Aufenthalt, zusammengearbeitet hat. Vielleicht, weil sie denkt, alle kennen ihn schon.
Nach knapp drei Stunden, drei Zugaben, viel Applaus und Pfiffen verabschiedet sie sich. Und wie ein bleierner Vorhang legt sich der Abschied auf die Bühne: Er hat etwas Endgültiges an sich, etwas sehr Ernstes. CHRISTIANE BREITHAUPT
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