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: Nachrichtenfreies Fernsehen mit einem Krieg ohne Bilder

Recht und Pflicht zum Zweifel

Die USA und Großbritannien haben wohlausgewählte strategische Ziele in Afghanistan bombardiert und die Zivilbevölkerung geschont. Sagen sie. Getötet wurden 20 Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen. Sagen die Taliban. 37.500 Pakete Nahrung für die Bevölkerung sind abgeworfen worden. Sagt die US-Regierung. Bei Farah im Südwesten Afghanistans ist ein US-amerikanisches Flugzeug abgeschossen worden. Sagen die Taliban.

Nichts von alledem ist für unabhängige Berichterstatter überprüfbar. Jede Seite gibt das bekannt, was sie die Welt glauben machen will. Es mag die Wahrheit sein – oder auch nicht. Man kann annehmen, dass die Planer tatsächlich die Zivilbevölkerung schonen wollen – schließlich steht und fällt damit der Erfolg des gesamten Unternehmens und der internationalen Anti-Terror-Allianz. Doch wer in Belgrad aus Versehen die chinesische Botschaft in die Luft jagt, kann kein bedingungsloses Vertrauen in seine Fähigkeiten erwarten.

Die Medien, allen voran die großen weltweiten Newsmaker CNN und BBC, senden seit Sonntagabend in einer fast nachrichtenfreien Dauerschleife. Harte Fakten über die Ergebnisse der ersten Angriffswellen ersetzen sie durch immer mehr Befragungen von Militärexperten – und die ergehen sich einmütig in Lobpreisungen der wunderbaren Planung und Abstimmung. So setzt sich in den Köpfen der Zuschauer fest, was sich festsetzen soll. Der Unterschied zur erkennbaren Propaganda ist die Ausstrahlung von Ruhe, Kompetenz und Professionalität. Wer kann da widersprechen?

Die Bedeutung der Medien in diesem Krieg ist immens – das am Sonntagabend ausgestrahlte Video mit einer Ansprache Ussama Bin Ladens und seiner Kompagnons unterstreicht das eindrucksvoll. Der Zugang der Medien zu verifizierbaren Informationen über das Kriegsgeschehen aber ist gleich null. Keine Zeitung, kein Fernsehsender kann an diesem Dilemma etwas ändern. Was bleibt, ist das journalistische Grundrecht auf Zweifel. Es sollte im Krieg eigentlich eine Pflicht sein.

BERND PICKERT