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In der Ausgrenzungsfalle

■ Wie Bremen einen Vertrag umgeht, der sozial Benachteiligten Wohnraum zusichern soll / Sozialressort: „Erst mal auf dem freien Markt gucken“

Das Mädchen, hier soll sie Sandra heißen, ist gerade mal 17, schwanger und muss zu Hause raus. Ein Fall fürs Amt. Dort wird ihre Notlage offiziell bestätigt: Sandra bekommt eine so genannte Wohnungsnotstandsbescheinigung– das ist noch ein bisschen mehr als der so genannte „Berechtigungsschein“ der Menschen im unteren Einkommensspektrum zusteht.

Alles sieht gut aus. Die Bremische bietet Sandra eine Wohnung an, allerdings unter einer Bedingung: Das Amt für Soziale Dienste möge eine Garantieerklärung abgeben, eine Art Bürgschaft des Amts, für die Miete aufzukommen, falls der Mieter säumig wird. Eigentlich ein Routinefall, denn das Amt wäre verpflichtet genau das zu tun. Doch auf dem Amt bekommt Sandra zu hören: Eine Garantieerklärung? Nein, so etwas unterschreibe man schon lange nicht mehr. Und tschüss.

Damit handelte das Amt entgegen den Festlegungen eines geltenden Vertrages, den es einst selbst unterschrieben hatte. Denn dieser so genannte „Wohnungsnotstandsvertrag“ zwischen Wohnungsunternehmen und der Stadt Bremen sieht vor, dass ein Teil der jährlich frei werdenden Sozialwohnungen an Obdachlose, Drogenabhängige, „wohnungslose Einzelpersonen“ wie Sandra vergeben wird – oder an Menschen, die in Notunterkünften oder „mangels Wohnraum“ in Heimen oder Pensionen leben. Sie alle erhalten Berechtigungsscheine der Dringlichkeitsstufe 1, und für solcherart Berechtigte sieht der Vertrag vor, dass die Stadt in die Bresche springt, wenn's nix wird mit dem regelmäßigen Mietezahlen: „Die Stadtgemeinde“, heißt es in dem Vertrag, „... stellt ... die Mietzahlungen sowie bei Auszug die nach Mietvertrag vom Mieter zu tragenden Kosten für Instandsetzung und Renovierung sicher.“

Nun versucht die Stadt offenbar, sich dieser einst selbst unterschriebenen Verpflichtung zu entziehen. Vor einiger Zeit erreichte die Beratungsstellen, die solchen Menschen bei der Wohnungssuche zur Seite stehen, ein Schreiben aus dem Sozialressort: „Bitte bemühen Sie sich zunächst um preisgünstigen Wohnraum für Ihre KlientInnen, der nicht unter den Wohnungsnotstandsvertrag fällt“, heißt es dort mit Verweis auf „Probleme im Bereich der Wirtschaftlichen Hilfen“. Erst wenn es auf dem freien Wohnungsmarkt nicht klappe, möge man auf besagten Vertrag zurückkommen.

„Völlig kurzsichtig“ findet Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) diese Anweisung: „Da wird ein Integrationsinstrument zur Ausgrenzungsfalle.“ Er verweist auf die letzten Zahlen aus dem Jahr 1997 – aktuellere gibt es nicht: In diesem Jahr bekamen immerhin 513 Haushalte – wobei zu einem Haushalt oft mehrere Personen gehören – eine Wohnung nach besagtem Vertrag zugewiesen, also mit Dringlichkeitsstufe 1 und Garantieerklärung. Eine durchaus nennenswerte Zahl – findet Busch-Geertsema, vor allem angesichts mangelnder sonstiger Einflussmöglichkeiten. Beim Blick über den Tellerrand und auf einen möglicherweise in der Zukunft wieder angespannten Wohnungsmarkt wird dem Sozialwissenschaftler bange: „Wenn man den Vertrag nicht nutzt, hat man gar kein Instrument mehr, sozial Benachteiligten zu Wohnraum zu verhelfen. Dann bleibt nur das Bitten und Betteln auf dem privaten Wohnungsmarkt.“ Und das, wo es um eine Klientel geht, die nicht zu Vermieters Lieblingen zählt.

Heidrun Ide, Pressesprecherin des Sozialressorts, versteht die Aufregung nicht: Der Wohnungsnotstandsvertrag gelte ja nach wie vor, „aber da kann man sich ja vorher erst mal auf dem freien Markt umschauen.“

Damit entbinde man die Wohnungsunternehmen faktisch von ihrer Verpflichtung, auch sozial Benachteiligten Wohnungen zu vermieten, warnt Volker Busch-Geertsema. Karoline Linnert, sozialpolitische Sprecherin der Bürgerschafts-fraktion der Grünen, findet das Amtshandeln „von kurzfristigem Kostendenken und Ignoranz“ geprägt. Politik wie diese, meint Linnert, sei „einfach zynisch.“

Doch für Sandra immerhin gab es ein Happy End: Nach einigem Hin und Her zwischen dem Amt und der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen (AGAB) bekommt Sandra schließlich die Wohnung. Mit amtlicher Garantieerklärung. Und mit der Anmerkung, dass so etwas künftig nicht mehr drin sei. Susanne Gieffers

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