: Union kämpft an der Heimatfront
Damit Soldaten AKWs, Talsperren und Tankstellen bewachen dürfen, will die CDU/CSU das Grundgesetz ändern. Bundeswehrverband: „Unfug!“
von LUKAS WALLRAFF
Die Union hat ein Problem: Außenpolitisch gibt es für die größte Oppositionspartei im Moment wenig zu tun. Noch uneingeschränkter als uneingeschränkt kann man die deutsche Solidarität mit den USA nicht bekunden. Weil die Regierung Schröder/Fischer außenpolitisch tut, was auch die Union tun würde, sucht sie händeringend nach einem eigenen Schlachtfeld, auf dem sie sich im „Krieg gegen den Terrorismus“ profilieren kann. Jetzt glaubt sie, eins gefunden zu haben: den erleichterten Einsatz der Bundeswehr im Inland.
Weil sie der Polizei nicht zutraut, möglicherweise gefährdete Einrichtungen vor möglicherweise geplanten Terrorattacken zu schützen, formulierte die CDU/CSU im Bundestag gestern einen Antrag, das Grundgesetz zu ändern. Soldaten sollen schon „in besonderen Gefährdungslagen“ abkommandiert werden können, um zivile Objekte zu bewachen. Bisher dürfen sie das nur im Krieg oder im „Spannungsfall“ tun – also wenn ein groß angelegter Angriff droht.
Wer eine „besondere Gefährdungslage“ feststellt und ob es dafür einen Beschluss des Bundestags braucht, ließ die Union erst mal offen. „Das muss noch geklärt werden“, sagte Fraktionsvize Wolfgang Bosbach der taz. Um die Einzelheiten auszutüfteln, hat die Union eine „Arbeitsgruppe zur Erörterung der Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren“ gebildet. Bosbach gehört seit gestern dazu. Wenn es nach ihm geht, sollten die Soldaten „so bald wie möglich“ zum Einsatz an der Heimatfront.
CDU-Parteichefin Angela Merkel hatte schon am Montag erklärt, sie sehe nicht ein, „warum die Bundeswehrsoldaten im Kosovo oder auf dem Balkan Objektschutz betreiben und das im eigenen Land nicht machen können“. Die Bedrohung komme heute „aus dem Dunkeln des Terrorismus“. Merkel will deshalb nicht mehr zwischen äußerer und innerer Sicherheit differenzieren, „wie dies die Mütter und Väter des Grundgesetzes gemacht haben“.
Nur Kasernen und Militäranlagen schützen – wie es die Bundeswehr tut –, das reicht nicht mehr. Aus Sicht von Fraktionsvize Bosbach wird die Bundeswehr überall da gebraucht, wo Terroristen zuschlagen könnten – unter anderem bei „Chemiewerken, Atomanlagen, Trinkwasser-Talsperren oder Tankstellen“.
Welche Aufgaben die Soldaten dort genau übernehmen sollen, wollte Bosbach noch nicht sagen. „Es kommt darauf an, in welchem Umfang der Einsatz nötig wird.“ Sicher sei nur, dass die Bundeswehr mit ihrem Personal, ihren Fähigkeiten und ihrer Ausrüstung bei der Terrorbekämpfung helfen könnte. „Die Kernfrage lautet: Wollen wir auf diese Möglichkeit verzichten, wenn Polizei und Bundesgrenzschutz in Ausnahmefällen überfordert sind?“ Wichtig ist Bosbach, dass auch die Union den Einsatz der Bundeswehr im Inland nicht zur Dauereinrichtung machen will: „Die Bundeswehr soll keine zweite Bereitschaftspolizei werden.“ Langfristig müsse vor allem in die bessere Ausstattung der Polizei investiert werden, damit sie den neuen Gefahren besser gewachsen ist. Weil sich das aber so kurzfristig nicht bewerkstelligen lasse, brauche es jetzt die Möglichkeit, die Bundeswehr zur Hilfe zu rufen.
Mit diesem Hilferuf steht die Union allerdings ziemlich alleine da. SPD, Grüne und FDP lehnen eine Grundgesetzänderung ab, auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping erteilte den Ideen der CDU/CSU eine klare Absage: „Dafür gibt es jetzt überhaupt keinen Bedarf“, sagte Scharpings Sprecher gestern.
Auch in der Bundeswehr selbst hält sich die Begeisterung in Grenzen. Die Übernahme von Polizeiaufgaben durch Soldaten bezeichnete der Chef des Bundeswehrverbandes, Oberst Bernhard Gertz, als „für meine Begriffe Unfug“. Die Ideen der Union seien „nicht besonders intelligent“, das Ganze eine „Gespensterdiskussion“. Für Einsätze im zivilen Bereich seien Soldaten weder ausgebildet, noch habe die Bundeswehr die dafür notwendigen Kräfte zur Verfügung. „Wer für den Objektschutz mehr Personal braucht, muss mehr Polizei einstellen und ausbilden.“
Eine Änderung der Verfassung kann sich Gertz höchstens vorstellen, wenn es darum geht, die Sicherheit des Luftraums zu gewährleisten. Bisher ist die Bundeswehr nur zuständig, wenn es sich um „Angriffe von außen“ handelt. Dies müsse man überdenken, sagte Gertz. Denn ein Flugzeug könnte auch im Inland entführt werden. „Wenn es dann etwa auf ein Atomkraftwerk zu stürzen droht, kann nur die Bundeswehr eingreifen.“ Der Schutz am Boden bleibt Polizeisache.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen