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Moskaus dritte Front droht in Abchasien

Nach dem Beschuss mehrerer Dörfer wachsen die Spannungen in der Kaukasusrepublik. Wieder ist die tschetschenische Fährte der Auslöser

von KLAUS-HELGE DONATH

In der von Georgien abtrünnigen Republik Abchasien droht ein alter Unruheherd wieder auszubrechen. Anfang der Woche bombardierten Hubschrauber und Kampfflugzeuge mehrere Dörfer in der bergigen Grenzregion zwischen Georgien und Abchasien. Mehrere Dorfbewohner sollen bei den Angriffen in der Kodor-Schlucht getötet worden sein. In dem schwer zugänglichen Hochgebirgstal wurde am Montag auch ein Aufklärungshubschrauber der UN abgeschossen. Alle neun Insassen kamen ums Leben.

Der Präsident der am Moskauer Tropf hängenden abchasischen Republik, Wladislaw Ardsinba, hat alle wehrfähigen Männer zu den Waffen gerufen. Sein Stellvertreter Walerij Arschba schloss nicht aus, dass sich Abchasien „mit einer Bitte um Hilfe“ an Russland wenden werde.

Bislang konnte nicht geklärt werden, wer die Luftangriffe veranlasst hatte. Nach Aussagen der Dorfbewohner hatten die angreifenden Maschinen keine Hoheitszeichen. Das erinnert an Praktiken, derer sich die Kombattanden im Sezessionskrieg 1992/93 bedient hatten.

Damals gelang es den Abchasen, die ein Zehntel der Bevölkerung Georgiens ausmachten, Tiflis eine empfindliche Niederlage beizubringen. Etwa eine Viertelmillion Georgier musste aus Abchasien fliehen. Der instabile georgische Staat stand vor erheblichen Schwierigkeiten, die Flüchtlinge zu integrieren. Den militärischen Erfolg verdankten die Abchasen der massiven Unterstützung russischer Militärs, denen ein unabhängiges Georgien nach dem Kollaps der Sowjetunion ein Dorn im Auge war.

Das ist so geblieben. Die jüngsten Meldungen aus dieser Region beherrschen zurzeit die Moskauer Nachrichtensendungen. Schon ist nach Tschetschenien und Afghanistan von einer neuen „dritten Front“ die Rede.

In Tiflis streiten Regierungsstellen eine Beteiligung an den Luftangriffen ab. Stattdessen gab der stellvertretende Kommandeur der georgischen Grenztruppen, General David Gulua, bekannt, die Bomber-Flugzeuge vom Typ SU-25 seien aus dem russischen Luftraum gekommen. Bei der vermeintlichen Verfolgung tschetschenischer Rebellen haben russische Flieger bereits mehrfach georgische Siedlungen beschossen.

Die tschetschenische Fährte ist diesmal wieder der Auslöser. Abchasien und Moskau behaupten, Freischärler des tschetschenischen Feldkommandeurs, Ruslan Gelajew, trieben in Abchasien und der Kodor-Schlucht ihr Unwesen. Gelajew hatte sich in der Pankiski-Schlucht, einer tschetschenischen Exklave und Nachschubbasis in Georgien, versteckt. Tiflis hatte Gelajew aufgefordert, das Land zu verlassen.

Beweise, dass es sich bei den Invasoren tatsächlich um Söldner des berüchtigten Kommandeurs handele, haben bisher weder die abchasische noch die russische Seite geliefert. Als Beweisführung dienen einige südländisch aussehende Leichen. Erklärt werden müsste auch, wie die Tschetschenen binnen kurzem vom vierhundert Kilometer entfernten Pankiski Tal nach Abchasien gelangen konnten. Und noch etwas stimmt nachdenklich: im Sezessionskrieg kämpften die Tschetschenen auf Seiten der muslimischen Abchasen.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow nahm den Abschuss des UN-Hubschraubers zum Anlass in Anwesenheit eines UN-Vertreters, Georgiens Präsidenten Eduard Schewardnadse öffentlich zu maßregeln. „Jetzt ist es absolut offensichtlich, dass die georgische Führung die Lage auf ihrem Territorium nicht kontrolliert oder die Terroristen nach ihren Ziele manipuliert“. Eine Kriegserklärung? Schickt Moskau unter dem Vorwand der Terroristenverfolgung Fallschirmjäger in die Pankiski- Schlucht ?

Was will der in Afghanistan involvierte Westen seinem neuen Verbündeten entgegenhalten, wenn der Kreml vermeintliche „islamistische Terroristen“ in Georgien dingfest machen will. Damit hätte der Tschetschenienkonflikt eine internationale Dimension erreicht. Eine Rückeroberung Georgiens würde die russischen Militärs nach Putins Schulterschluss mit dem Westen mit dem Kremlchef versöhnen. Dann hätte die Mesalliance einen Sinn gehabt.

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