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Zwischenstation zur Nacht

In Charlottenburg gibt es ein Hotel eigens für Busfahrer. Aufgebaut hat es schließlich die resolute Monika Gornistu. Eine Inspektion

von KIRSTEN KÜPPERS

Monika Gornistu mag Windhunde. Es ist die Eleganz dieser Tiere, die ihr gefällt, diese Gediegenheit in Aussehen und Schritt. Viele gerahmte Windhundbilder hat Monika Gornistu in ihrer schmalen Empfangsloge hängen. So als wollte sie, dass etwas herabfiele von der Aura der schönen Hunde auf sie und ihr „Hotel von Korff“.

Ihre Gäste sollen beim Eintreten die gepflegte Atmosphäre einatmen. Dass sie sehen, wie ordentlich es in den sechzehn Zimmern der zweiten Etage eines Mietshauses am Kaiserdamm zugeht. Und dass sie sich darin dementsprechend zu benehmen wissen.

Zur Atmosphäre gehören Bilder von langhaarigen Hunden, Primeln in der Vase und stets gesaugte Auslegeware. Dass die 59-jährige Monika Gornistu mit solch subtilen Erziehungsmethoden operiert, hängt mit der besonderen Kundschaft des „Hotel von Korff“ zusammen: den Busfahrern. Die ausländischen Männer, die sehr müde vom nahe gelegenen Omnibusbahnhof Charlottenburg bei ihr ankommen, sie stellen das größte Kontingent ihrer Gäste.

Meist ist die Chefin ganz alleine in ihrem Hotel mit diesen Fremden, die mehr Zeit auf der Straße als sonstwo verbringen. Sie gelten als ungehobelte Kerle. Aber Monika Gornistu – die Haare rot getönt, wadenlanger Rock zu hochgeschlossenem Pullover – ist eine resolute Frau. Eine Unternehmerin, die ihre Kundschaft fest im Griff hat.

Es ist schon lange her, dass einer ihrer Gäste sich getraut hat, auf dem Zimmer ölige Sardinen aus der Büchse zu essen oder betrunken am Frühstückstisch zu erscheinen. Schließlich färbe das Umfeld stets auf die Menschen ab, sagt die Hotelchefin. Die Minibars auf den Zimmern hat sie jedenfalls abgeschafft. Nicht nur um die Verführung zum Alkohol zu mindern. Sondern auch wegen der regelmäßigen Überschwemmungen, die es gab, wenn die Gäste wieder einmal vergessen hatten, die Kühlschranktüren ordentlich zu schließen.

Montags und samstags kommen die Kroaten, mittwochs die Spanier. Monika Gornistu denkt ihre Wochentage in Nationalitäten. Zwei Spanier sitzen gerade breitbeinig an einem Tisch im Frühstücksraum. Und weil die Fahrt zurück ins ferne Galizien erst morgen weitergeht, und man sowieso nicht weiß, was man in dieser Station, die Berlin heißt, die man aber gar nicht kennenlernen will, nun machen soll, erzählen Ramon und Augusto lange und ausführlich bis in den Mittag hinein, wovon vorher auch schon Monika Gornistu gesprochen hat: von den Härten des Busfahrerlebens, von der Erschöpfung, der Ausbeutung durch die Speditionsgesellschaft, vom fehlendem Respekt der Fahrgäste, den billigen Imbissbuden unterwegs, auch vom Ärger mit der Ehefrau, von den Kindern, und dann wieder von der Müdigkeit.

Denn so ist das mit den trügerischen Schildern an den Haltebuchten des Zentralen Omnibusbahnhofs Berlin. Sie mögen Reisenden die hübsche Illusion vermitteln, Orte wie Sarajewo, St. Petersburg, Pristina, Lissabon, Paris oder Valencia seien nur eine Busfahrt weit von Charlottenburg entfernt. Für die Fahrer aber bedeutet das immer noch bis zu 52 Stunden und viele Zigarettenlängen Schichtarbeit. Das schlaucht. Und wer nachts im Fuhrpark des Bahnhofs einfährt, seinen verschwitzten Bus abschließt, die Straße überquert und bei Monika Gornistu endlich über die Schwelle tritt, will nur noch ins Bett.

Viele Stunden Schlaf braucht es dann und ein Frühstück mit Kaffee, Wurstbroten und Eiern, bis die Männer einigermaßen wiederhergestellt sind. Wirkliche Ruhe gibt es in einem Busfahrerhotel allerdings nie. Es markiert nur einen Zwischenzeit, ehe es wieder auf den Autobahnzubringer geht. Hin und zurück und wieder hin.

Busfahrer ist kein leichter Beruf. Monika Gornistu kennt die Lebensgeschichten ihrer Übernachtungsgäste. Mitleid hat sie aber nicht. Man kämpft sich durch, das hat sie schließlich selbst geschafft. Damals, nach dem Scheitern ihrer Ehe mit einem Rumänen, nach plötzlicher Kündigung eines Mietvertrags, Arbeitslosigkeit und nach vielen kleinen lausigen Jobs, die es einzutauschen galt gegen einen Traum. So beschloss Monika Gornistu, auf eigene Faust ein Hotel in der Nähe des Busbahnhofes zu eröffnen. Vier Jahre ist das jetzt her. Das Geld hat sie von Freunden und Verwandten geliehen.

Mittlerweile hat sie in den Zimmern viele Doppelbetten durch getrennte Betten ersetzt. Weil Männer sich für Körperkontakt untereinander genieren, wie sie meint. Auch Toaster für jeden Tisch im Frühstückszimmer hat sie angeschafft. Weil Südländer geröstete Weißbrotscheiben lieber mögen als kalte Berliner Schrippen.

Gegen Langeweile hat sie auf einem Tisch im Flur eine Sammlung fremdsprachiger Krimiheftchen ausgebreitet. Und wegen all dieser kleinen Annehmlichkeiten kehren die Busfahrer wohl auch immer wieder bei ihr ein und nicht in andere preiswerte Hotels in der Gegend. „Ich kann umgehen mit den Männern“, erklärt Monika Gornistu. „Beim Frühstück sehen die jetzt viel manierlicher aus als zu Anfang.“

Nenad Spoljarić ist auch einer, der morgens als gepflegte Erscheinung bei Gornistu im Frühstücksraum sitzt. Einen dreiteiligen grauen Anzug, zierliche Schuhe mit Lackbesatz und einen gekämmten Schnurrbart trägt der Busfahrer aus Zagreb. Von einer Lehre zum Gaswasserinstallateur in Baden-Württemberg vor vielen Jahren ist dem 43-jährigen Kroaten überdies ein breiter schwäbischer Akzent und die Liebe zum Schlagersänger Christian Anders zurück geblieben. „Einsamkeit hat viele Namen“ sei sein bevorzugtes Lied beim Busfahren, stellt Spoljarić sich vor.

Und wie er gleich anhebt, die traurige Melodie zu singen, kann man sich das gut vorstellen, wie er und sein Kollege in ihrem großen Omnibus dem Sonnenuntergang entgegen brausen. 250 Stunden touren sie pro Monat gemeinsam. Trotzdem gibt es mit dem Kollegen weniger Streit als mit der Ehefrau. Beziehungsprobleme seien eben eine Busfahrerkrankheit, meint Spoljarić und schüttelt sein Goldkettchen am Handgelenk nach vorne. So als wolle er jetzt auch ansetzen, von den Strapazen seines Berufsstandes zu erzählen.

Aber Spoljarić ist leidenschaftlicher Busfahrer. Einer, der seinen Job über alles liebt und deswegen nur schwärmen will: von den fleißigen Arbeitspendlern, die er zweimal die Woche nach Deutschland bringt, von den Rentnerinnen, die Jahre später noch Dankeschönpostkarten schreiben, von den kühlschrankgroßen Paketen, die er für seine Passagiere transportieren muss. Und von der Angst in den Augen der rückkehrenden bosnischen Kriegsflüchtlinge erzählt Spoljarić.

In eine regelrechte Begeisterung redet er sich hinein: Leg dein Ohr auf die Straße, und du wirst sie hören, die Geschichten von ewiger Liebe und dauerndem Leid, dem herrlich zerrissenen Zustand der Welt. Und bei soviel Anteilnahme am Zwischenmenschlichen seiner Arbeit scheinen Spoljarić die dazugehörigen Pflichten gar nicht mehr zur Last zu fallen.

Etwa, dass man der Verwandtschaft vom Berliner Aldidiscounter regelmäßig palettenweise Sonnenblumenöl mitbringen muss. Oder Computerzubehör und Funktelefone, wenn es irgendwo ein günstiges Angebot gibt. Zu Geburtstagen seiner Tochter auch leichte Parfüms. Nein, trotz all dieser zeitraubenden und kostspieligen Aufträge ist Spoljarić ein stolzer und glücklicher Vertreter seiner Zunft. So, dass er vor jeder Busfahrt seine Hemden bügelt, eine Krawatte umbindet, die Schuhe bürstet.

Den hellblauen Omnibus mit den seitwärts aufgemalten Möwen hat er schon am Abend vorher wieder frisch geputzt. Es mag sein, dass viele Männer so aufrecht und ordentlich sind wie Nenad Spoljarić. Vielleicht steigen aber auch nur besonders viele Busfahrer dieser braven Art im „Hotel von Korff“ ab.

Monika Gornistu, das wird nebenbei klar, kennt die Bedeutung von ehernen Weisheiten. Etwa dass man in einer Ehe nur putzen lernt. Oder dass man den Männern nicht in die Augen gucken darf, auch in schwachen Momenten nicht. Und dass ein sauberes Umfeld einen Einfluss übt, davon ist Monika Gornistu überzeugt wie von nichts anderem. Ihre Busfahrer sind ja der Beweis.

Vielleicht war es sogar der Busfahrer Nenad Spoljarić, der unten auf das Holz der Eingangstür des „Hotel von Korff“ mit grünem wasserfesten Filzstift den hoffnungsfrohen Satz geschrieben hat: „Das ist die Zukunft.“ Von Monika Gornistu verabschiedet sich der Kroate mit einem verbindlichen „Chefin, ciao!“

KIRSTEN KÜPPERS, 29, gebürtig in Heidelberg, kam 1991 nach Berlin, wo sie als freie Journalistin lebt

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