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Trendprogramm Fruchtgelee

Künstliche Blumen im Schloss der Idolatrie, Intimität, Introspektion: Die Hamburger Deichtorhallen zeigen Arbeiten von Wolfgang Tillmans und Elizabeth Peyton, den brandneuen KönigInnen des Pop

von ULF ERDMANN ZIEGLER

Man könnte sie als König und Königin des Pop beschreiben, zumindest für fünfzehn Minuten. Der König, Wolfgang Tillmans, hat soeben den Flügel des Schlosses, der ihm gehört, noch einmal abgeschritten. Und da kommt unbemerkt die Königin Elizabeth Peyton zur Drehtür herein, macht sich klein, und weil sie keiner sieht, sieht auch keiner, dass sie direkt aus dem Bett kommt und ihr prächtiges Haar noch nicht gewaschen hat. Sie verschwindet im Flügel des Schlosses, den man als Gallery of Painting bezeichnet. Der König ist zuständig für die Gallery of Photography, die sich unter seiner Regie in Richtung überlebensgroß erweitert hat.

Aber Spaß beiseite: Mit zehn Jahren Routine bespielt Direktor Zdenek Felix die große Deichtorhalle mit Bravour und Leichtigkeit. Keine andere deutsche Kunsthalle kann sich rühmen, an der zeitgenössischen Kunst zugleich lebhaft und massiv teilzuhaben, so wie es in Hamburg praktiziert wird. Tillmans’ Ausstellung in der Londoner Tate Gallery als Träger des Turnerpreises ist in Hamburg komplett rekonstruiert worden, während er gleichzeitig eingeladen wurde, seine neuen gegenstandslosen Arbeiten auszubreiten. Das hat er getan: Durch die großen weißen Tore künstlicher Kojen sieht man riesige leuchtende Bilder künstlicher Blumen, deren volles Format sich erst offenbart, wenn man in die Koje eintritt.

Unauffälliger hat er blassrosa Fotos gehängt, die aussehen wie mikroskopische Vergrößerungen oberflächlich beseitigter Blutspuren (er nennt sie „Blushes“). Es sind, betont er, Laborarbeiten mit reinem Licht. Auch die schwarzrosa Skulptur, die sich vor der blaugrauen Nachtaufnahme von Las Vegas auffaltet, ist ein manuelles Photogramm, keine Kratzarbeit am Negativ.

Zerstörung ist Tillmans fremd; er fügt stattdessen hinzu. Er stapelt die Bilder, entfaltet sie, fegt sie zusammen und legt sie erneut aus. Dabei werden es mehr. In der Dimension der Hamburger Ausstellung werden Schwachstellen im Prozess der Wucherung sichtbar – zum Beispiel in der Wiederverwendung der Porträts von Isa Genzken oder Kate Moss, deren Residuum an Ödnis sich beim vierten Wiedersehen unfreiwillig potenziert hat. Völlig ungelöst ist auch die Mehrfachverwendung von Motiven in verschiedenen Formaten (und verschiedenen Räumen): Die verblüffenden Nahstudien unfreiwilliger Intimitäten in der Londoner U-Bahn sind mit den großen Digi-Fahnen im einen Saal mit maximaler Wirkung platziert und werden durch ihre alternative Verwendung in klassischen C-Prints im anderen Saal auf die Boutiquefassung reduziert. Dies sind die knirschenden additiven Stellen in Tillmans’ rasch wachsendem visuellem Apparat, der im Effekt auf Vielfalt und Multiplikation setzt, und darin ohne jeden Zweifel triumphiert: Es ist keine Ausstellung, es ist eine Feier.

Nicht dass dies im Trendprogramm nicht vorgesehen wäre. Aber die spiegelbildliche Nutzung des Deichtorschlosses durch die etwa Din-A-4 großen Öl-auf-Holz-Porträts durch die amerikanische Malerkönigin ist dann schon eine Überraschung. Aus den fruchtgeleeartig abgetönten Hintergründen schauen bleiche Figuren heraus, so wie der Junge mit der Vereinsmütze eines Fußballklubs: stählern blaue Augen, ein kirschrot leuchtender Mund – die Pracht der Jugend, gefroren im Moment geistiger Abwesenheit. Ausgewiesen ist er als Prince Harry.

Erstaunlich eigentlich, dass Elizabeth Peyton in New York wohnt und nicht in Hamburg, wo das Modell des blasierten jungen Mannes sich so großer Beliebtheit erfreut, von den Stränden Blankeneses bis auf das Parkett der Großen Freiheit. Sie schlägt sich entschieden auf die Seite der Idolatrie, wenn sie die ärmliche Arroganz des Knaben Elvis an der Seite seiner Mutter als mentale Prophezeiung einer kommenden Königsrolle überhöht. Die Introspektion, abgeguckt von denen, die immer angeguckt werden, wird dann auf andere Figuren übertragen, auf „Elliot in the park“, „Piotr on the couch“ und „Silver Tony“. Die Synthetisierung der Figuren, von Ludwig dem Zweiten über David Hockney bis zu den Bohemiens, die bereitstehen, regierende Fürsten des Pop abzulösen, sofern man sie lässt: Das ist Peytons Geschick, man könnte auch sagen, ihre ikonographische Sendung.

Die beeindruckende Folge der winzigen Gemälde unter den lichten Dächern der Halle wird allerdings schwer beschädigt durch Fotos von Freunden, die in einigen Fällen als Quellenstudien ihrer Gemälde identifiziert werden können, in anderen nicht. Sie sehen aus wie schlampige Goldins. Dummerweise sind die Formate der Farbfotos Ihrer Majestät Queen Elizabeth zudem größer als die der Zeichnungen und Ölbilder, was sie umso weniger substanziell aussehen lässt. Dabei ist nicht etwa der Vergleich „mit der Wirklichkeit“ enttäuschend, denn der Auftritt Tonys, ihres Lieblingsmodells, bietet eine eher interessante Korrektur zum idealisierten Bild, das Peyton von ihm liefert. Enttäuschend ist der Umstand, dass Peyton ihre selbst geknipsten Quellen, indem sie sie zeigt, maßlos privilegiert, während die Klatschpressenvorlagen unseren neugierigen Augen verborgen bleiben. Somit wird die homogenisierende Kraft ihrer Malerei mit einer banalen Geste allgemeinen Hipseins (wer adlig ist, muss auch knipsen) verraten.

Die große Deichtorhallenfeier schließt ab mit einer Überblicksausstellung, die „Das zeitgenössische Gesicht“ heißt (auch wenn der Titel eigentümlicherweise in der englischen Version verwendet wird). Sie reicht nicht nur bis zu Alex Katz, wie ihr Untertitel suggeriert, sondern bis Marlene Dumas und Antje Majewski. Trotz einer großen Anzahl vorzüglicher Leihgaben hat sie alle Schwächen einer Ausstellung, die künstlerische Stile als „Positionen“ vergleicht: Es schleicht sich die Vorstellung ein, die Künstler(innen) hätten ihre Ikonographien nicht erfunden, sondern aus dem Regal eines Kunstsupermarkts gegriffen.

Bis 13. 1. 2002, Deichtorhallen Hamburg. Kataloge: Wolfgang Tillmans, „Aufsicht“, 39 DM; Elizabeth Peyton, mit einem Aufsatz von Ronald Jones, 39 DM; beide in Deutsch und Englisch

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