AUCH DIE PERFEKTESTE RAKETENABWEHR SCHÜTZT NICHT VOR ATTENTATEN: Schöner Traum Unverwundbarkeit
Seit dem 11. September wird nichts mehr so sein wie zuvor – das ist seit einem Monat eine der beliebtesten Floskeln vieler Regierender und Kommentatoren. Dabei hat US-Präsident George W. Bush gerade vorgeführt, dass sich zumindest in seinem Kopf nichts bewegt hat. Unbeirrt fordert er immer noch ein neues Raketenabwehrsystem für die USA – obwohl die Anschläge auf New York und Washington doch gerade in tragischer Weise belegt haben, dass solche Terrorakte weder einer Rakete noch einer Atombombe bedürfen.
Schon nach dem gescheiterten Anschlag auf das World Trade Center von 1993 argumentierten Kritiker der Raktenenabwehrpläne, dass selbst das beste System nicht gegen Attentäter schützt, die nur einen neuralgischen Punkt treffen wollen. Leider waren ihre Szenarien sehr viel realistischer, als diese Kritiker selbst damals glaubten. Die Anschläge von New York und Washington wurden ohne jede moderne Waffentechnologie durchgeführt. Die als Waffen benutzten Flugzeuge drangen nicht einmal von außen in den Luftraum der Vereinigten Staaten ein. Mit dem Szenario, das Befürworter eines Raketenabwehrrings stets anführen – ein Angriff vom Territorium eines anderen Staates auf das Gebiet der USA – hatten die Anschläge nichts gemein. Wäre am 11. September ein Raketenabwehrsystem rund um die USA installiert gewesen, es hätte keinen einzigen Toten weniger gegeben. Und nach den Anschlägen ist es noch unwahrscheinlicher geworden, dass „Schurkenstaaten“ oder Terrororganisationen enorm hohe Ressourcen in die Entwicklung von Raketen stecken – und auch noch das Risiko eingehen, durch Spionagesatelliten entdeckt zu werden. Denn jetzt wissen sie, wie sie den USA viel einfacher schaden können.
US-Präsident Bush behauptet, der Vertrag über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen sei veraltet, er reflektiere eine andere Zeit. Tatsächlich ist es die Vorstellung, dass die Verwundbarkeit eines staatlichen Territoriums mit militärischen Mitteln gesichert werden kann, die veraltet ist. Der schöne Traum von der Unverwundbarkeit gehört in der Tat in eine andere Zeit – in eine Zeit, die mit mit dem 11. September endgültig zu Ende gegangen ist. ERIC CHAUVISTRÉ
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