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„Die Türkei hat ein Eigentor geschossen“

Der Europaparlamentarier Ozan Ceyhun kritisiert, dass Ankara die EU-Eingreiftruppe blockiert. Dadurch würde die Regierung sich international isolieren. Der Sozialdemokrat lehnt aber auch den Druck der EU auf das Nato-Land ab

BRÜSSEL taz ■ Beim informellen Treffen der EU-Verteidigungsminister gestern in Brüssel saß – bildlich gesprochen – die Türkei mit am Tisch. Das Nato-Land, das so gern in die vorderste Reihe der EU-Kandidaten aufrücken würde, blockiert den Aufbau der 60.000 Soldaten umfassenden schnellen Eingreiftruppe, die Ende 2003 einsatzbereit sein soll.

Es geht darum, dass die neue EU-Truppe im Ernstfall auf Nato-Ausrüstung, auf Planungsexperten und anderes Knowhow zugreifen will. Der Konflikt schwelt zwar schon länger, doch nun wird das Donnergrollen der EU lauter. Denn seit dem 11. September hat Wehrbereitschaft einen neuen Stellenwert. Es wächst das Gefühl, dass die Europäische Union ihre Kräfte bündeln muss, um für mögliche Attacken gerüstet zu sein. Die USA, Norwegen und andere Nicht-EU-Mitglieder der Nato sind einverstanden, dass die europäischen Militärs Nato-Einrichtungen nutzen.

Der ehemals grüne, jetzt sozialdemokratische EU-Abgeordnete Ozan Ceyhun ist gerade von einer Türkeireise zurückgekehrt. Ceyhun ist sozusagen Terrorismusexperte in eigener Sache: 1998 ließ die damalige türkische Regierung den 1981 emigrierten Ceyhun mit internationalem Haftbefehl als Terroristen suchen – kurz darauf zog er für die deutschen Grünen ins Europaparlament ein.

Für die Stimmungslage in seiner Heimat hat er dennoch Verständnis: „Man kann mit einem Land wie der Türkei nicht so umgehen. Als es die kommunistische Bedrohung noch gab, spielte sie als Vorposten in Asien in der Nato eine wichtige strategische Rolle – mit immerhin einer halben Million Soldaten. Jetzt kann sie sich nur noch als Mitglied zweiter Klasse fühlen.“

Im Rat der Staats- und Regierungschefs der EU und bei vielen Parlamentskollegen von Ceyhun scheint dagegen angesichts der neuen Sicherheitslage das Verständnis für türkische Empfindlichkeiten abzunehmen. Der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Außen- und Verteidigungspolitik, der deutsche CDU-Abgeordnete Elmar Brok, sagte gegenüber der taz: „Wir müssen deutlich machen, dass wir von der Türkei die europäische Entwicklung nicht blockieren lassen. Dann wird es eben militärische Doppelstrukturen geben, die noch teurer sind. Wenn die Türkei in dieser Weise weiter verfährt, ist dies jedenfalls keine Ermutigung, sie in die EU aufzunehmen.

Dem stimmt Ozan Ceyhun zu: „Es ist sehr kontraproduktiv, wenn ein Land, das gerade seine Hausaufgaben macht, um in die EU zu kommen, zugleich der Buhmann ist, der die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik blockiert. Hätte die Türkei die Situation gründlich analysiert, wäre sie nicht auf diese Idee verfallen. Es sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die die türkischen EU-Pläne unterstützen, also die Staaten, die auch die neue Nato-Konzeption wollen. Die türkische Linie kann man nur als Eigentor bezeichnen.“

Bei der Nato-Frühjahrstagung im Mai in Budapest hatte die Europäische Union den Kompromiss angeboten, die Türkei über mögliche militärische Aktionen der Union auf dem Laufenden zu halten und sie bei allen Zypern betreffenden Fragen mit entscheiden zu lassen. Eine Antwort darauf steht bis heute aus. Ceyhun glaubt, den Grund dafür zu kennen: „Das Problem ist, dass die Türkei keine Regierung hat, die selbstsicher handeln kann. Es gibt aber auch keine Alternative zu dieser Regierung. Den Budapester Kompromiss könnte nur eine starke Regierung gegenüber den Militärs durchsetzen. Solange die Generäle nicht einverstanden sind, weil sie angeblich fürchten, eines Tages gegen EU-Truppen kämpfen zu müssen – ein absurdes Szenario – hat der Kompromiss keine Chance.“

Wie stark sich die Türkei derzeit international isoliert, wird gerade im Vergleich mit Russland besonders deutlich. Putin hat bei seiner Reise durch Westeuropa deutlich gemacht, dass er sein Land bereits mit einem Fuß in der Nato sieht und als Gegenleistung Verständnis für sein eigenes „Terrorismusproblem“ in Tschetschenien erwartet. Diese Rechnung scheint aufzugehen. Die Türkei könnte einen ähnlichen Deal in der Kurdenfrage versuchen – auch wenn Ozan Ceyhun die Erfolgsaussichten gering einschätzt: „Die Türkei ist davon ausgegangen, dass nach dem 11. September die Repressionen gegen Kurden als ‚Terrorismusbekämpfung‘ von der EU nachträglich gut geheißen werden. Das wird natürlich nie passieren. Man kann die PKK verurteilen. Aber man muss auch sagen, dass die Türkei nicht in der Lage war, demokratische Möglichkeiten für das kurdische Volk anzubieten. Man hätte in der Kurdenfrage viel schneller zu Lösungen kommen können, wenn man die kurdische Sprache nicht unterdrückt und kurdische Schulen und Medien erlaubt hätte.“

DANIELA WEINGÄRTNER

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