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Die Mühen der Pazifisten

Nach der Friedensdemonstration am Sonnabend sprechen die Veranstalter euphorisch von frischem Schwung, einer „neuen Friedenskoalition“. Wie die aber genau aussehen soll, weiß noch niemand

von ULRICH SCHULTE

30.000 KriegsgegnerInnen friedlich vereint auf dem Gendarmenmarkt. 2.000 freundliche Polizeibeamte, die ihre Helme ab- und Baseballkappen aufsetzten. Der Himmel fast so blau wie die Luftballons mit den Friedenstauben. Keine ernsthaften Probleme, alles lief reibungslos.

Angesichts dessen mag man den Veranstaltern eine gewisse Euphorie nicht verübeln. „Diese Demonstration hat neuen Schwung, neue Impulse in die Friedensbewegung gebracht“, sagte Reiner Braun vom Organisationsteam gestern. „Wir haben am Samstag eine neue Friedenskoalition erlebt.“

Tatsächlich ist die Friedensbewegung gerade in: Gewerkschaften in Gestalt der Jugendorganisationen von IG Metall und Ver.di seien laut Braun seit langer Zeit wieder dabei gewesen, besonders positiv fiel ihm „das starke Engagement der Schüler“ auf. Eine neue Koalition für den Frieden also?

Zumindest auf dem Sternmarsch am Samstag wurde sie Wirklichkeit. Die Forderung nach dem Stopp der US-Angriffe, dem Ende der Gewaltspirale einte auf dem samstäglichen Sternmarsch als kleinster gemeinsame Nenner verschiedenste Gruppen. Die Marxistisch-Leninistische Partei marschierte neben Pax-Christi-Anhängern, Jusos und junge Grüne neben AntifaschistInnen. Und alle zusammen regten sich über die verquaste Solidaritätsbekundung der NPD (siehe unten) auf. Anzeichen für die viel beschworene Renaissance der Friedensbewegung gibt es also.

Laura von Wimmersperg von der Berliner Friedenskoordination tut sich dennoch schwer mit dem Begriff. Zwar bekomme sie in letzter Zeit viele Anrufe, auch von Altkämpfern, doch von einem Comeback will sie nur „mit äußerster Vorsicht“ sprechen.

Konzepte, die die plötzlich gewonnene Solidarität in eine dauerhafte Form gießen könnten, sind rar. „Die Gruppen müssen sich auf lokaler Ebene weiter vernetzen“, sagt Demo-Mitorganisator Reiner Braun vage. „Auch die Landeskirchen, Menschen- und Bürgerrechtsgruppen können wir noch stärker einbeziehen.“

Ebenfalls skeptisch über die neue Friedenskoalition äußern sich gerade die, in die Braun so viele Hoffnungen setzt – die Schüler. „Wenn es einen festen Demo-Termin und Ort gibt, dann ist bei Schülern eher die Bereitschaft da, auf die Straße zu gehen“, sagt Sebastian Schlüsselburg, Vorstandsmitglied der Bundesschülervertretung und Redner auf der Friedensdemo. Die Schülervertretung versuche, Schulen zu eigenen Aktionen wie Sitzblockaden oder Streiks zu mobilisieren. Dafür sei jedoch bei vielen „die Schwelle einfach zu hoch“.

Eine andere Vermutung drängt sich auf, wenn man das Protestverhalten von Schülern beobachtet: Anfang der Woche demonstrierten 3.000 Schüler auf dem Alexanderplatz, vormittags, während des Unterrichts. Die Sonne schien. Am Donnerstag rechnete ein Bündnis Pankower Schulen mit 2.000 friedliebenden Schülern. Es regnete, und die Demo begann um 14 Uhr, nach Schulschluss. 200 Demonstranten kamen.

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