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Die Rechte eines Phantoms

Um die ethischen und rechtlichen Fragen der Reproduktionsmedizin kümmert sich die neue Gesundheitsministerin nicht. Ihre Vorgängerin, Andrea Fischer, hatte zwar auch kein Konzept, aber sie stellte sich dem Problem wenigstens. Das dokumentiert ein instruktiver Tagungsband

von JÖRN AHRENS

Im Frühjahr vergangenen Jahres faszinierte ein Krimi der besonderen Art die Menschen: Zwei Wissenschaftlerteams wetteiferten um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms wie weiland Scott und Amundsen um die Entdeckung des Südpols. Doch nicht nur ein forscher Entdeckerwettlauf wurde aufgeführt. Viele ahnten, dass die Konsequenzen dieser Entdeckung bis tief in die Kultur und Gesellschaft hinein spürbar werden. Unter diesem Eindruck formierten sich auch die politischen Interessengruppen neu.

Vor allem die Reproduktionsmedizin gilt als ein realistischer Anwendungsbereich für die modernen Biowissenschaften. Im Zentrum der Debatte steht die „Präimplantationsdiagnostik“ (PID). Bei diesem Verfahren werden einem künstlich gezeugten Embryo Zellen entnommen und auf ihre genetischen Anlagen hin untersucht. Diese Praxis ist bislang in Deutschland verboten. Außerdem wird diskutiert, wie mit der Möglichkeit einer gezielten Herstellung menschlicher Zellen, Gewebe und Organe aus embryonalen Stammzellen umgegangen werden sollte. Denn diese Technik verhieße große Fortschritte für die Transplantationsmedizin. Schließlich deutet sich das „therapeutische Klonen“ als Anwendungsgebiet an, also die Erzeugung von Zellen, Geweben und Organen durch Klonierung aus ausgereiften Körperzellen des Patienten.

Damit scheinen drei Optionen in Reichweite zu sein, die bei einer breiten Anwendung erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen hätten und die zudem, über die bereits praktizierten Formen von künstlicher Befruchtung hinaus, die Art und Weise menschlicher Fortpflanzung verändern würden. Aus diesem Grund begann die seinerzeitige Gesundheitsministerin, Andrea Fischer, ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu planen und initiierte dazu eine stark beachtete Konferenz in Berlin. Aus ihr sollten Anstöße für das Gesetz hervorgehen. Heute ist Fischer nicht mehr Ministerin, und ihre Nachfolgerin hat ihre Politik gegenüber den neuen Reproduktionstechnologien nicht fortgesetzt. Auch wenn der Tagungsband daher kein Dokument aktueller politischer Willensbildung mehr ist, bleibt er eine instruktive Quelle, um sich ein Bild von der gegenwärtigen Diskussion zu machen.

Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht die nach wie vor ungelöste Frage nach einer Einbindung der Reproduktionstechnologien in die gesellschaftlichen Strukturen sowie deren ethische Bewertung. Die Frage, welcher rechtliche Status frühen Embryonen zuerkannt werden soll, wirft völlig neue Probleme auf: Mit ihnen betritt plötzlich eine Kategorie des Lebens die Bühne, die bislang weder philosophisch, rechtlich oder sonst kulturell vorgesehen war. Bislang hat man es mit Menschen zu tun gehabt, deren Umgang miteinander gesetzlich geregelt werden musste. Der Paragraph 218 machte die Debatte zwar schon abstrakter, da er den Fötus zum Rechtssubjekt erhob – aber immerhin hat dies Gebilde ein Gesicht, man kann sich ihm gewissermaßen verwandt fühlen.

Heute geht es um die bloße Ansammlung einiger Zellen, und statt von einem Menschen zu reden, spricht man vom „Leben“, was die Sache noch abstrakter werden lässt. Wo soll man also den Schnitt machen zwischen der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung und der Verfügbarkeit einer bloß organischen Materie? Das ist nicht nur eine Frage für Fachleute, sondern ein Grundproblem der modernen Kultur. Wollen wir uns nicht nur genetisch, sondern auch kulturell mit einem Zellkügelchen, an dem offensichtlich noch nichts menschlich ist, identifizieren? Es könnte einmal ein Mensch werden. Und werden wir dieser moralischen, kulturellen Verantwortung gewachsen sein?

Experten, die dieses Dilemma nicht wahrnehmen, verweigern sich, wie die Soziologin und Historikerin Barbara Duden in einem Diskussionsbeitrag anmerkt, offensichtlich dieser Fragestellung. Und die Juristin Monika Frommel merkt an, dass die Erweiterung von Individualrechten auf Embryonen fast zwangsläufig „in fundamentalistische Verstrickungen“ führe. Den Embryo mit vollgültigen Menschen- oder gar mit Bürgerrechten auszustatten, würde eine Inflation der Rechte phantomhafter Lebewesen bedeuten. Die nach wie vor gültigen Verfahren zur Institutionalisierung von subjektiver Würde und den zugehörigen Rechten drohten so auf den Kopf gestellt zu werden.

Nach Sicht von Andrea Fischer hätte am Ende dieser Debatte, gleichsam als Antwort auf all jene Fragen, ein Fortpflanzungsmedizingesetz stehen sollen. Doch gerade ein Gesetz über die menschliche Reproduktion wäre keine Antwort auf die drängenden Fragen gewesen, sondern hätte bloß die Hilflosigkeit der Regierung gegenüber jenen Technologien illustriert. Denn weder ist der Status der betroffenen Rechtssubjekte geklärt, noch wäre eine solche Regelung dauerhaft: Bei jeder neuen technischen Entwicklung müsste das Gesetz aktualisiert werden. Das macht der Tagungsband in seiner Breite von Beiträgen aus der Grundlagenforschung bis zu sozialwissenschaftlichen Analysen deutlich. Er ist so zu einem Dokument der Widersprüche der gesamten Diskussion geworden und führt eindrücklich vor, dass die Experten überfragt sind und die Politik, der Lösungen abverlangt werden, sich in einer latenten Krise befindet.

Die klassische Kategorie der „Menschenwürde“ kann zur Lösung der mit den Biotechnologien verbundenen Probleme nicht mehr viel beitragen. Eine Alternative scheint nicht in Sicht zu sein und die Gesellschaft an eine Grenze ihrer Fähigkeiten zur Integration neuer technischer Möglichkeiten gestoßen zu sein, da sie nun ihr Subjekt – den Menschen als Gattungswesen – selbst einer Verfahrensregelung unterwerfen muss. Das Problem auszusitzen, wie es die neue Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nun hartnäckig versucht, hilft freilich auch nicht weiter.

Bundesministerium für Gesundheit (Hg.): „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Wissenschaftliches Symposium vom 24. bis 26. Mai 2000 in Berlin, Baden-Baden 2001, 531 Seiten, 98 DM

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