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Kultur im Dreijahresplan

Mit Adrienne Goehler und einer pragmatischen Arbeit hat der Stuhl des Kultursenators wieder Haftung erlangt. Ein guter Ausgangspunkt, um mit dem Bund über den Hauptstadtkulturvertrag zu verhandeln, die Ballett- und Bühnenreform voranzutreiben und um über den Schlossplatz zu entscheiden

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Der Stuhl des Berliner Kultursenators ist dafür berüchtigt, ein Schleudersitz zu sein. Drei Senatoren hat der Job in den vergangenen zwei Jahren verschlissen und einen Berg ungelöster Sachprobleme hinterlassen, die jeden neuen Kandidaten schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilten. Mit Adrienne Goehler (parteilos) hat der Stuhl wieder Haftung erlangt. Und die grün bestellte Senatorin hat signalisiert, sich davon nicht herunterstoßen zu lassen. Es gebe „mindestens für die nächsten drei Jahre“ genug zu tun, sagte sie, die Ärmel hoch- und die Berliner Kulturlandschaft umzukrempeln.

Dass Goehler dazu bereit ist, hat sie in den 120 Tagen ihrer Amtszeit erkennen lassen: Die Philharmoniker-Stiftung, die Dirigentenverträge mit Sir Simon Rattle und Daniel Barenboim sind unter Dach und Fach. Die Finanzierungsfragen der Topographie des Terrors sind abgeschlossen. Und die Liste der Berliner Museen, bei denen sich der Bund, wie beim Jüdischen Museum geschehen, ebenfalls mehr finanziell beteiligen sollte – wie das Naturkundemuseum, die Topographie und die Gebäude auf der Museumsinsel – liegt als Teil eines neuen Hauptstadtkulturvertrags-Paket in der Schublade.

Position beziehen beim Bund muss die zukünftige Kulturverwaltung in einer anderen Frage: Welche Kunstsammlungen sollen in ein wieder errichtetes Gebäude am Schlossplatz einziehen und in welcher Architektursprache, historisch oder modern, soll dort gebaut werden? Noch im Herbst stehen dazu erste Antworten auf dem „Kultur-Kalender“. Goehler selbst wird um ihre Position – „kein rekonstruiertes Stadtschloss“ – zu ringen haben.

Zudem stehen drei Altlasten gescheiterter Berliner Kulturpolitk erneut zur Debatte: So muss die Zukunft der Tanzensembles und ihr Status in den Opernhäusern geklärt werden. Goehler hat signalisiert, den Balletts einen „autonomen Status“ mit selbstbestimmter Wahl ihrer Auftritte zu sichern. Das sehen die Indendaten der Bühnen anders.

Zum anderen drängen sowohl die CDU als auch der Koalitionspartner SPD darauf, die beiden Bühnenhäuser, das geschlossene Schiller Theater und das von der Schließung bedrohte Theater des Westens an private Betreiber zu übereignen. Die Verwaltung muss hierbei nicht nur Investoren finden und ein Finanzierungskonzept erarbeiten, sondern vor allem die Frage des Programms und die Funktion der Häuser unter den Hauptstadtbühnen klären.

Bleibt das Mammutproblem der gescheiterten Theater- und Opernreform: Nach wie vor sind die Bühnen Subventionsfresser, „obwohl die Häuser selbst ihren Personalüberhang heruntergefahren haben und die hauseigenen Bürokratien entrümpeln“, wie Goehler meint. Reichen wird das nicht. Doch eine Radikalkur, mit Schließungen oder der Zusammenlegung ganzer Ensembles, Musikkörper oder Werkstätten, wie sie Goehlers Vorgänger Christioph Stölzl (CDU) anvisiert hatte, steht nicht mehr auf der Tagesordnung. „Kleine Schritte“ wie die Schärfung der eigenen künstlerischen Profile, Absprachen bei den Spielplänen und beim Marketing sollen die Lösung bringen, sagt Goehler. Kleine Brötchen sind das nicht, und ob Zeit genug bleibt, das Lieblingskind der Senatorin, die freie Kunstszene, genügend zu fördern, muss abgewartet werden. Denn gleich nach der Wahl muss ebenfalls „viel Holz“ bearbeitet werden, sollten die Grünen wieder Teil des Senats sein. Die Berliner Filmförderung, derzeit im Bereich des Wirtschaftssenators, und der Denkmalschutz, bei der Bauverwaltung angesiedelt, sollen wieder der Kulturverwaltung zugeschlagen werden. Noch mehr Arbeit im Dreijahresplan.

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