normalzeit: Sone und solche Attenate
Während der so genannten Wende beschlich Sabine Vogel und mich das Gefühl, dass es jetzt erst mal eine Weile mit der aufrührerischen Kunst in der Frontstadt vorbei sei, nicht nur, weil plötzlich die staatliche Förderung woanders hin geleitet wurde. Alles war in Bewegung geraten und das Reale spannender als jedes Kunstwerk. Vor allem komplizierter.
Nach dem Attentat am 11. September las ich nun in der FAZ: „Eine ganze Reihe von ästhetischen Kategorien ist mit einem Mal schal geworden: spannend, intensiv, interessant, schnell. . .‘Jeden Tag kann etwas Unvorhergesehenes passieren, während früher die nächste Ausstellung das Herausfordernde war,‘ sagte dieser Tage eine Frau bei einer Diskussion in den Berliner Kunst-Werken“. Will sie lieber mitkämpfen oder denkt sie an einen privaten Atomschutzbunker? Der so genannte Zusammenbruch des Ostblocks versetzte Millionen von Menschen (wieder) in Schwung, begleitet von mehr oder weniger „sanften Revolutionen“. Während das New Yorker Attentat nur einige (zudem noch idiotische) Staatsapparate und hunderte von Meinungsmachern in Marsch setzte, so dass wir sogar hier im fernen Europa davon jetzt noch einen zweiten „deutschen Herbst“ abbekommen.
Im ersten – 1977 – kritisierte Wolfgang Kraushaar die Schleyer-Entführung, bei der drei Bodyguards und der Fahrer erschossen wurden, insbesondere deswegen, weil den Terroristen der SS-Sturmbannführer und Arbeitgeberpräsident H.M. Schleyer wertvoller schien als die „in Uniform gesteckten Proletarier“. Ähnliches könnte man jetzt auch über den Angriff auf das World Trade Center sagen. Aber „im Kapitalismus gilt der General, der Bankier und ein Hochhaus viel, der Mensch dagegen nichts“ (Karl Marx). Kraushaar bestand 1977 darauf, dass sich die Terroristen mit einem solchen Attentat dem „terroristischen Staat“ angepasst hätten – ja, „identisch geworden“ wären. Später gestand der oberste polizeiliche Fahndungsleiter Herold, dass seine Truppe sich umgekehrt den Terroristen angeglichen hätte.
Inzwischen scheinen sich sogar die Frauen der Berliner Kunst-Werke derart mit einer solchen Staatspolitik und ihrem Fahndungsapparat zu „identifizieren“, dass ihnen die Kunst im Vergleich zu deren Performances fade vorkommt.
Noch klarer drückte sich dann Florian Illies in der Sonntags-FAZ aus, als er die Friedensbewegung öffentlich bat, doch noch mehr Präsenz zu zeigen, damit ihm und seiner Feuilletonclique – die demnach laufend für die andere, die Kriegsseite, Partei ergreifen muss – dennoch dieses „andere Deutschland“ nicht ganz aus den Augen gerät. Gleichzeitig bezeichnete ein anderer Autor in der selben FAZ-Ausgabe die deutschen Neonazis als noch zu „waschlappig“, um ernsthaft als Sympathisanten des islamischen Terrorismus – und damit als echte „Gegner“ – in Betracht zu kommen. Es schwang darin ein gewisses Bedauern mit – dass damit der Kampf zwischen der open society und einigen closed shops für diesmal nicht auf deutschem Boden stattfindet. Die Formel „Wir sind alle Amerikaner“ wirkt hierbei jedoch Wunder – an Mitbegeisterung.
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