BERLIN-WAHL: KEIN PATHOS, KEIN KALTER KRIEG, KEIN KAMPF DER LAGER
: Piefig, wie beruhigend

Es war ein langweiliger Wahlkampf – darüber ist man sich, links und rechts, einig. Doch interessanter als diese etwas geschmäcklerische Klage ist die Frage, warum das so war. Und ob nicht gerade das Piefige dieses Wahlkampfes eigentlich ganz beruhigend ist.

Vor zwei, drei Monaten sah das noch ganz anders aus: Die letzte Schlacht des Kalten Krieges stand bevor. Die CDU fabulierte, dass Rot-Rot Berlin zu einer „sozialistischen Stadt wie Peking oder Havanna“ machen würde. Liberale Kommentatoren warnten vor Gregor Gysi, der bloß den wahren Charakter der PDS camouflieren würde. West gegen Ost, Demokraten gegen das Undemokratische, wir gegen die anderen – dieser Frontstadtsound war vor allem: wirklichkeitsfremd. Wer manchmal Zeitung liest, weiß, was die PDS-Führung will: Machtbeteiligung. Eine linke Rolle rückwärts, Wagenkecht statt Gysi, wäre Selbstmord.

Gegen die holzschnittartige Anti-Rot-Rot-Propaganda konnte sich die PDS durchaus einleuchtend als Partei präsentieren, die mit der Blocklogik brach. Mit Gysi hatte sie einen Kandidaten, der auch im Westen ankam, mit der Formel von Rot-Rot als „Ende des Kalten Krieges“ eine vernünftige Parole. Rot-Rot in Berlin, so das PDS-Kalkül, wäre ein Quantensprung auf dem Weg der PDS vom Bad Guy zur normalen Partei. Danach könnte eine SPD-PDS-Koalition im Bund 2006 anstehen, gleichsam das symbolische Ende der historischen Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung, die 1914 in Berlin begann.

All das sieht heute, einen Tag vor der Wahl, anders aus, kleiner, viel kleiner. Gewiss könnte Rot-Rot noch immer ein Schritt sein, um den Ost-West-Diskurs von den Resten der Kalten-Kriegs-Rhetorik zu befreien. Aber das wirkt irgendwie zweitrangig, wie verblasst. Der Lagerwahlkampf wurde zwar pflichtgemäß inszeniert, aber das Publikumsinteresse blieb bescheiden. Die CDU wird wohl ein Drittel ihr Wähler verlieren – gegen den Bankenskandal hilft auch antikommunistisches Tremolo nicht. Wenn die Umfragen halbwegs stimmen, dann sind die Wähler klüger als manche Leitartikler.

Noch wichtiger war der 11. September. Seitdem ist das historische Pathos verflogen, das Rot-Rot anhaftete. Angesichts des neuen Kriegs erscheint die Entsorgung der Kalten-Kriegs-Reste fast nebensächlich. Auch die Machtträume der PDS haben sich fürs Erste erledigt. Sie hat sich vom Koalitionspartner in spe 2006 in ein „Sicherheitsriskio“ verwandelt, dem die Bundes-SPD demonstrativ nicht über den Weg traut.

Berlin war immer ein pathetischer Ort. Berlin war keine Stadt, Berlin war Schauplatz der Weltgeschichte. Auch daraus wuchs eine spezielle Hybris, ein Metropolenwahn, der Berlin mit London und Paris assoziiert, aber nicht mit Kitaplätzemangel, Marzahn und Sozialhilfeempfängern.

Deshalb war es ein angemessener Wahlkampf: Es ging nicht um Ideologien und Historie, sondern um Parkraumbewirtschaftung und Fehlbelegungsabgabe. Das war ein pragmatischer Vorschein des Kommenden. Denn der Handlungspielraum des nächsten Senats wird eng, sehr eng sein. Natürlich macht es bei der Inneren Sicherheit oder Verkehrspolitik einen Unterschied, ob Linke oder Rechte regieren – das zentrale Problem ist das Geld. Und da ähneln sich alle, von PDS bis CDU. Ratlos gehorcht man dem Diktat des Sachzwangs.

Nur in Gysis Rhetorik hallt noch alte Berlin-Hybris nach: Viel war da von „Visionen“ und vom Sinn der Hauptstadt zu hören. Doch mit „Visionen“ stopft man keine Haushaltlöcher – und historisches Sendungsbewusstsein und Änderungsfuror braucht Berlin auch nicht. Keine andere deutsche Stadt hat in den letzten Jahren so viel Historie, so viel Umbruch erlebt. Nirgendwo sonst sind so viele Einwohner zu- und abgewandert. Keine Stadt hat mehr gespart.

Rot-Rot hat heute viel an Strahlkraft verloren. Es wäre kein Symbol für die Annäherung von SPD und PDS mehr, keine historische Zäsur. Es wäre ein Zeichen, dass der Osten angemessen repräsentiert ist – von der symbolische Vollendung der Einheit würde wohl niemand reden. Rot-Rot wird, wenn es dazu kommt, pragmatisch und technokratisch – und viel glanzloser, als Gysi hofft. Prägen würde dieses Bündnis nicht Gregor Gysi, sondern der nüchterne Haushaltsexperte Harald Wolf. Und das Publikum dürfte sich staunend an eine PDS gewöhnen, die redet wie Hans Eichel. STEFAN REINECKE