: Störtebekers Revanche
■ Beim ersten Saisonsieg des FC St. Pauli im Fußball-Oberhaus zeigen sich erste Lernfortschritte des Bundesligapraktikanten. Trainer Dietmar Demuth steht jetzt vor Luxusproblem im Sturm
Glaubt man den Mythen, so hat sich der erste Saisonsieg des FC St. Pauli am Samstag gegen Energie Cottbus tatsächlich am Tag des 600. Geburtstages von Freibeuter Klaus Störtebeker zugetragen. Ein passender Tag für den Club, sich schlagkräftiger zu präsentieren als die Comicpiraten auf zahlreichen Fanartikeln. Dem oberflächlichen Schein des Werbeimages folgte erstmals in dieser Saison eine konsequente Umsetzung des Freibeutertums auf dem Rasenrechteck.
Bereits auf der tags zuvor abgehaltenen Pressekonferenz schien St. Pauli-Coach Dietmar Demuth fest von der symbolischen Kraft aus dem Jenseits überzeugt gewesen zu sein. Er war „sicher, dass der erste Saisonsieg gegen Cottbus eingefahren wird. Mein Kollege aus Cottbus hat ja auch zusätzlich dafür gesorgt, dass eine besondere Stimmung im Stadion herrschen wird.“ Demuth spielte damit auf die despektierlichen Äußerungen des Cottbus-Coaches Eduard Geyer über die Arbeitseinstellung mancher Profifußballer an, die er mit denen von Prostituierten auf dem Kiez verglichen hatte. Worte, mit denen man Geyer im Millerntor schadenfroh empfing.
Die Fans antworteten mit „Ede Geyer, der beste Freier“-Rufen und sollten gar nicht ganz danebenliegen. Denn seine Mannschaft sollte reichlich für ihren 90 minütigen Auftritt auf dem Kiez bezahlen. 4:0 hieß das Endergebnis, von dem Christian Rahn ohne Übertreibung später sagte, dass es auch „sechs oder sieben zu null“ hätte ausgehen können. Eduard Geyer wollte eigentlich gar nichts zu dem jämmerlichen Auftritt seiner Mannschaft sagen, blieb dann aber doch dem Kiez-Jargon treu: „Das war alles Gummi“, regte er sich auf.
St. Pauli freute sich erstmals nach fünf Jahren wieder über vier Treffer in der ersten Bundesliga und besonders über den ersten Sieg. Einem, der nicht nur Mut für den unzweifelhaft bevorstehenden Abstiegskampf macht, sondern in seiner herausgespielten Art und Weise kurzfristig die Gedanken an untere Tabellenregionen vergessen ließ. St. Pauli präsentierte sich als gereiftere Mannschaft, die ihren Res-pekt vor der höchsten Spielklasse in den neun vorherigen Spielen abarbeiten konnte. Dietmar Demuth hat sich von dem passiven Auftreten der ersten Spiele befreit und setzt seit den vergangenen drei Spielen auf die offensiven Stärken der Mannschaft, die sie schon in der vergangenen Saison ausgezeichnet hat. „Ich habe den Eindruck, dass der Trainer inzwischen eine Stammformation gefunden hat“, sagte Christian Rahn, der auf der linken Außenbahn viele Angriffe einleitete und so stark spielte, dass der HSV die Bemühungen um den U 21-Nationalspieler forcieren wird und ein Wechsel in der Winterpause möglich erscheint.
„Wir sind kein Club, der in der Lage ist, frühzeitige Wechsel kategorisch auszuschließen“, sagt St. Pauli-Manager Stephan Beutel zu den Spekulationen. Ein Verlust, der aber bei der enormen Leistungssteigerung, die der ehemalige College-Kicker Cory Gibbs zeigt, durch ihn oder Catalin Racanel aufgefangen werden müsste.
Lediglich im Sturm ist das Thema Stammformation so eine Sache. Nach den beiden Treffern von Nico Patschinski haben alle Spieler dieses Mannschaftsteils inzwischen mindestens einmal ins Tor getroffen. Ein vorher bestimmt nicht absehbares Luxusproblem für Trainer Demuth, der nur sehen muss, den neu verpflichteten Marcao besser in das Gefüge einzubinden.
Gelingt ihm das schnell, könnte Demuth dasselbe Schicksal ereilen wie Holger Stanislawski. „Ich liebe das Lied nach dem Torerfolg, aber wenn es weiter so oft erklingt wie heute, wird es mir schnell auf die Nerven gehen.“ Oke Göttlich
FC St. Pauli: Bulat – Amadou, Stanislawski, Gibbs – Bajramovic, Kientz, Meggle, Bürger (46. Rath), Rahn – Marcao (71. Inceman), Patschinski (63. Konetzke)
Energie Cottbus: Piplica – Sebök – Matyus, da Silva – Reghecampf (51. Brasilia), Termina, Thielemann (51. Kaluzny), Kobylanski – Miriuta – Helbig, Topic (81. Hujdurovic)
SR: Koop (Lüttenmark)
Zuschauer: 19.617 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Patschinski (3.), 2:0 Kaluzny (52./Eigentor), 3:0 Patschinski (55.), 4:0 Meggle (78.)
Gelb: Inceman / Thielemann, Helbig; Gelb-Rot: Termina (30.)
Beste Spieler: Meggle, Patschins-ki, / Piplica, Helbig
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