piwik no script img

Berlin wählt links

Sechzig Prozent der Wahlteilnehmer für SPD, PDS oder Grüne. CDU fährt schlechtestes Ergebnis seit 1948 ein. SPD erholt sich auf rund 30 Prozent. Für eine rot-grüne Koalition reicht das Ergebnis nicht

BERLIN taz/ap/dpa ■ Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus haben insgesamt 60 Prozent der Wahlberechtigten und -willigen sich für SPD, PDS oder Grüne entschieden. Insgesamt hat kaum eine Wahl die politischen Gewichte in einer Stadt je derartig verschoben.

Die CDU dagegen fuhr gestern das schlechteste Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik ein: Nur rund 23 Prozent der Stimmen entfielen auf die CDU unter ihrem Spitzenkandidaten Frank Steffel. Damit hat sie seit der 1999er Wahl fast die Hälfte ihrer Wähler verloren. „Wir haben gekämpft, und wir haben verloren“, sagte Steffel. „Die Wähler haben uns einen Denkzettel erteilt. Ich übernehme dafür die Hauptverantwortung.“

CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer und CDU-Chefin Angela Merkel gaben zu, die Union habe eine „bittere Niederlage“ erlitten, sprachen der Wahl jedoch bundespolitische Bedeutung ab. Steffel stehe nach wie vor für eine junge, sich erneuernde CDU, und solle ein starker Oppositionsführer sein.

Die SPD unter ihrem bereits seit vier Monaten regierenden Bürgermeisterkandidaten Klaus Wowereit bekam knapp über 30 Prozent der Stimmen und ist seit dreißig Jahren erstmals wieder stärkste Partei. Wowereit kann sich nunmehr aussuchen, ob er lieber „rot-rot“ mit Gysis PDS koaliert oder nach dem Modell „Ampel“ mit den Grünen und der FDP. Für eine rot-grüne Koalition, dies wurde nach ersten Zahlen deutlich, wird es in Berlin nicht reichen. Wahlsieger Wowereit selbst mochte sich hierzu zunächst nicht klar äußern, sagte jedoch: „Ich lasse mich angesichts der schwierigen Probleme der Stadt nicht auf eine Wackelkoalition ein.“ Auch eine rot-rot-grüne Koalition wollte Wowereit gestern nicht ausschließen, „natürlich nicht“. Lediglich eine schwarz-rote Koalition sei gänzlich abwegig.

Die Bundespartei gab zur Koalitionsfrage gestern ebenfalls keine eindeutige Aussage ab. Generalsekretär Franz Müntefering kündigte an, das Ergebnis sei der Auftakt einer langen sozialdemokratischen Ära in Berlin und wies lediglich darauf hin, dass man „registriert“ habe, „dass die Grünen sehr stabil sind“.

Drittstärkste Partei, der CDU dicht auf den Fersen, wurde die PDS mit über 22 Prozent. Im Ostteil der Stadt kam die PDS auf rund 48 Prozent und erhielt damit mehr Stimmen als alle anderen Parteien zusammen. PDS-Zugpferd Gregor Gysi bot der SPD erneut die Koalition an: „Dazu haben die Wähler einen klaren Auftrag erteilt“, sagte er. Eine Ampelkoalition sei viel zu instabil. Sollte die SPD jedoch „unbedingt herumampeln wollen, wird sie sehen, wohin sie mit einer starken Oppositionspartei links und einer rechts kommt“.

Die Grünen unter Spitzenkandidatin Sibyll Klotz erhielten knapp über 9 Prozent. Klotz selbst sagte, sie kenne die FDP zwar noch überhaupt nicht, sei aber bereit zu einer Ampelkoalition. Die grüne Noch-Kultursenatorin Berlins, Adrienne Goehler, sagte in ihrem ersten Wahlkommentar: „Wir haben Stimmen an die PDS verloren.“ Sie führte dies auf den klar pazifistischen Kurs der PDS zurück. Grünenchefin Claudia Roth gab sich mit dem Ergebnis verhalten zufrieden und sprach von schwierigen Rahmenbedingungen.

Die FDP, seit 1995 aus dem Abgeordnetenhaus verbannt, darf, geführt vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, mit fast zehn Prozent wieder einziehen.

2,5 Millionen Berliner waren drei Jahre früher als vorgesehen zur Stimmabgabe aufgerufen, nachdem die große Koalition im Juni in Folge eines Banken- und Spendenskandals zerbrochen war. Um die mindestens 130 Mandate im Abgeordnetenhaus bewarben sich 19 Parteien und 13 Einzelkandidaten. Parallel zum Landesparlament wurden gestern auch die Bezirksverordnetenversammlungen in den zwölf neuen Großbezirken Berlins gewählt. UWI

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen