: Verdoppelte Haftung gefordert
Verbraucherschützer verlangen, dass die Pharmaindustrie einen Haftungsfonds für Arzneimittelgeschädigte einrichtet: Eine Lehre aus der HIV-Infizierung von Blutern
BERLIN taz ■ Die „Verbraucherzentrale Bundesverband“ (vzbv) hat eine Verbesserung der Haftung bei Arzneimittelschäden gefordert. Die entsprechende Neuformulierung des Schadenersatzrechts, die derzeit im Bundesrat beraten wird und dann in den Bundestag geht, reicht der vzbv nicht aus.
„Wir fordern, dass die Pharmaindustrie einen Fonds einrichtet“, sagte die vzbv-Vorsitzende Edda Müller gestern. Vielfach sei der Verursacher von Erkrankungen durch Arzneimittel nicht eindeutig nachweisbar. Damit die geschädigten Patienten eine Chance auf Schadenersatz bekämen, müsse die Pharmaindustrie kollektiv haftbar gemacht werden können.
Außerdem verlangt die vzbv, dass Haftungshöchstbeträge bei der Schädigung mehrerer Personen von vorgesehenen 120 Millionen Euro auf 240 Millionen Euro verdoppelt und das Auskunftsrecht von Verbänden und Verbrauchern über Nebenwirkungen erweitert werden. „Es kann nicht sein, dass Geschädigten die Auskunft unter Hinweis auf Herstellergeheimnisse – also wirtschaftliche Interessen – verweigert wird“, sagte die oberste Verbraucherschützerin Müller.
Die Forderung nach einem Pharmafonds ist Resultat vor allem der Ansteckung von Blutern mit dem HI-Virus während der Achtzigerjahre. Bis 1993 wurden über 40 Prozent der behandelten Hämophilie-Kranken durch Blutprodukte mit HIV infiziert. Der Vorsitzende der Deutschen Hämophiliegesellschaft, Manfred Siller, sprach gestern von insgesamt 1.600 Betroffenen, von denen 800 mittlerweile gestorben seien. Weil die Herstellerfirmen damals nicht in Haftung zu nehmen waren, wurde eine „politische Lösung“ gefunden: Staat und Industrie gründeten einen Spendenfonds.
Aus diesem nach der Contergan-Katastrophe der Sechzigerjahre prominentesten Fall von Arzneimittelschädigung in der Bundesrepublik zog Siller gestern außerdem die Konsequenz, „dass es einen fundamentalen Wandel in der Beweisführung geben muss“. Siller und die vzbv begrüßten zwar die vom Justizministerium erarbeitete Änderungen im Schadenersatzrecht, verlangten aber eine vollkommene Beweislastumkehr, nach der niemals der Patient, sondern immer der Hersteller darlegen müsse, wie es zu einem Schaden gekommen sein könnte.
ULRIKE WINKELMANN
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