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„deswegen hassen sie uns!“

von KATHRIN RÖGGLA

„that’s why they hate us!“ weil hier alles läuft, solange das geld fließt. „that’s why they hate us“, beschäftigt also auch den cd-verkäufer in brooklyn, während er meine kreditkarte durchs gerät zieht. seine aussage hat den leicht ironischen unterton, der den passageren begegnungen hier eigen ist, dieses etwas schnippische, freundlich-distanzierte, unverbindliche. ja, warum man gehasst wird, das interessiert einen hier schon. hinter dieses geheimnis will man einmal kommen, aber eben nicht zu sehr, schließlich müssen die dinge weiterlaufen, schließlich ist es auch nur ein gesprächsthema zwischen kunde und verkäufer, oder für eine u-bahn-station gut, wenn der zug wieder einmal aufgrund einer „police investigation“ nicht weiterfahren kann. und so wird zunächst meist gesagt: wegen der freiheit. es wird gesagt: die freiheit! und noch mal, mit nachdruck: freiheit!

doch es nutzt nichts, glauben tut es keiner. auch das demokratie-gerede verbringt mehr zeit mit einem, als man mit ihm verbringen kann. allzu schnell ist es eher ideologische funktion als inhalt, genauso wie der inflationär verwendete begriff der „open society“, die es zu schützen gilt, in dem man sie abschafft. und hier wird jetzt so mir nichts, dir nichts das „money issue“ eröffnet. doch wir sind ja auch in der bedford avenue in williamsburg, dem teil brooklyns, in den in den letzten jahren schon alle künstler gezogen sind, da kommen jetzt nur noch geldfragen nach und verdrängen bald die netten jungen menschen, die in netten kleinen galerien mit netter kunst sitzen und sich wohl auf ihre themen konzentrieren wollen und nicht mehr so recht können.

eine stadt auf jobsuche

selbst gemachte kunst ist eines der issues, die auf dinner partys durchaus möglich sind. andere sind: migration, anthrax, wtc. und den anfang macht man wie immer mit der frage nach der arbeit: „what do you do?“. doch momentan kommt man mit ihr nicht sehr weit, denn eigentlich ist die halbe stadt auf arbeitssuche. „I am looking for a job!“, lautet die antwort auf alle nur erdenklichen fragen, die man im augenblick stellen kann. die wirtschaftliche situation der stadt hat sich ziemlich verschlechtert, nicht nur die einbußen in tourismus und einzelhandel, von denen man immer wieder hört.nein, es handelt sich um eine breite rezession, die schon vor dem 11. 9. begonnen hat und durch den terroranschlag nur verstärkt wurde. doch vera hat ja arbeit. sie ist editor bei dem business magazine fortune und weiß nicht nur die wirtschaftliche lage der stadt und die stimmung an der börse zu erläutern, die ja absurderweise zunächst auf den kriegsbeginn positiv reagiert habe, weil er die zeit der unsicherheit über den kriegsbeginn beendet hat, vera hat auch anthrax-geschichten auf lager: wer arbeit hat, besonders in der medienindustrie, hat auch anthrax-geschichten zu erzählen und damit die absolute aufmerksamkeit.

die zeiten sind nämlich vorbei, in denen man an dem einen verschlafenen sicherheitsmann vorbeigezogen ist in richtung fortune-redaktion im rockefeller center. jetzt stehen gleich drei beamte da und wollen glatt deine id sehen! und dann gibt es noch so sicherheitsmenschen, die die post durchchecken in der redaktion. sie schlagen einfach einen briefumschlag gegen den tisch, um zu sehen, ob wirklich ein buch drin ist! vera lacht. sie hatten ein büro-meeting gehabt, wo man ihnen so instruktionen gegeben hat, was zu tun sei im fall der fälle: „zunächst waschen sie sich ihre hände, dann alarmieren sie das sicherheitspersonal, dann halten sie sich in der nähe des gefährlichen poststücks auf, gehen sie nicht herum und versprühen keine bakterien, bleiben sie ja in der nähe des poststückes, aber nicht zu nahe, am besten im nebenzimmer.“

eine nachbarschaftliche dinner party: sie haben nicht nur ihre themen, sondern auch ihre biografien, ja, es ist immer wieder verrückt, wie hier alle aus lebengeschichten kommen. meist sind es einwanderungsgeschichten – ein jeder scheint migrationseltern zu haben, migrationsgroßeltern jedenfalls mit sicherheit. so kommen johnnies eltern aus brasilien, seine großeltern aus deutschland, und er selbst wurde in miami groß. johnnie fährt jedes jahr nach brasilien auf familienbesuch und macht auch auf der uni lateinamerika-schwerpunkt. ganz anders eliot, einer der wenigen ureinwohner, die ich antreffen konnte, ein typischer new yorker intellektueller mit diesem leicht nasalen tonfall und dem dazugehörigen trockenen sprachwitz. er hatte jüdische großeltern aus bosnien, selbst hat er aber keinen kontakt zu osteuropa, spricht auch nicht jiddisch, dafür spanisch und chinesisch. karens eltern, irakische juden, die erst in den iran geflüchtet sind und danach nach amerika, machten auch keine geschichte daraus. sie weiß wenig darüber, will sich aber damit beschäftigen. jetzt, wo sie in einem video von shirin neshat plötzlich ein gesicht gesehen hat: „just like my grandmother“, will sie nachforschen, sich auf die suche machen und verwandte finden. vielleicht etwas künstlerisches daraus entwickeln?, schlägt man ihr vor, worauf sie aber nichts sagt. und dennis, sohn iranischer juden, hat auch eine geschichte: dass in diesem gebiet einmal 100.000 jüdische menschen gelebt haben und jetzt elf. „elftausend?“, fragt sein sitznachbar. „nein, elf“, sagt dennis in seiner pragmatisch-ironischen art. er will mit der aussage nichts beweisen, bloß etwas erzählen.

der tod als kinderspiel

und dann steht plötzlich sein achtjähriger sohn im zimmer, der sicher viele aufgeregtheiten in sich versammeln kann. klar ist, eine behält immer die oberhand – nämlich die über gewehre. er hat eine vorliebe für spielzeugwaffen aller art: maschinengewehre, flinten, colts, revolver. dreißig stück habe er in seiner sammlung, erzählt der vater nicht ohne stolz. und ich erinnere mich daran, wie ich ihn schon im hausflur habe beobachten können, martialisch maskiert, den vorbeikommenden die möglichkeiten seiner waffen erklärend. jetzt muss ihn sein vater erschießen, damit er vor unseren augen eine sterbeszene hinzaubern kann, eine weile quer durchs zimmer taumeln und dann langsam zu boden gehen kann mit dem satz, dass jetzt alles ganz schwarz vor seinen augen würde. erst dann erklärt er sich bereit, ins bett zu gehen.

man verabschiedet sich jetzt, vera zuerst, weil sie sich für „die schicht um sechs uhr morgens“ gemeldet habe. sie koche dann für die „workers“ unten am wtc, „to do her patriotic duty“, sagt sie und wird ein wenig verlegen. sie meint, sie habe noch nichts getan, und jetzt habe sie gedacht – sie stockt. zeit für ihren mann zu bemerken, dass er mit shopping genügend patriotic duty macht. er folge da nur den anweisungen des präsidenten. alles lacht. ja, das war einer der beiden ratschläge von bush, und zwar der, der wohl mehr auf demokraten gemünzt war. der andere, mehr für gute republikaner, lautete: go to your local fbi office! man muss eben alle beschäftigt halten.

eine dinner party hat seine issues und seine grenzen, man kann da beispielsweise plötzlich sagen: wer hätte das gedacht, dass man in der u-bahn fährt und zu hoffen beginnt, dass nur jemand ausgeraubt wurde oder erstochen, wenn man von einer police investigation im zug hört. man kann sogar: oh my god! nachsetzen. aber die stimme wird sich nicht wirklich überschlagen. richtungsangaben für die gespräche werden keine ausgegeben, aber es ist zu vermuten, dass irgendwie „towards normality“ angesagt ist, so über den daumen gepeilt. und auch auf der straße schreien sich die taxifahrer wieder an. selbst die langsame freundlichkeit der passanten hat sich längst wieder zurückgezogen aus dem bereich der selbstdarstellung hinein in andere, weniger offensichtliche. vielleicht ist sie auch ganz im wetter verschwunden. wundern würde es einen nicht. schließlich ist indian summer.

ja, indian summer: die blattfärbung habe in einigen gebieten schon ihren „peak“, die stärkste intensität, überschritten, wird aus einer umgebungskarte in der nytimes ersichtlich, die auskunft gibt über den zustand der blattfärbung im weiteren new yorker umland. auch wird man vorsorglich auf derselben seite über das wetter in afghanistan informiert, wahrscheinlich damit man sich etwas vorstellen soll. auch vor dem st. vincent hospital, dem katastrophenkrankenhaus in greenwich village, wird der imagination zugearbeitet. da ist noch immer eine wand voller „missing people“-anzeigen, davor kerzen und auch blumen. nur die funktion der kopierten zettel hat sich verändert. kaum mehr kann es darum gehen, die verschwundenen leute noch aufzufinden. die zahlreichen interessierten, die sich draußen an dieser wand entlang bewegen – touristen, obdachlose und andere menschen aus dem viertel – scheinen auch keine betroffenen zu sein. man liest sich einfach still und eifrig durch die personenangaben durch, als könnte man damit das ereignis endlich begreifen.

soundtrack der paranoia

denn plötzlich kann ja alles wieder finster werden. alle paranoiaspuren sind dann voll besetzt, der ganze soundtrack abgemischt: da wäre die anthrax-spur, die giftgasattacke, die nächste flugzeugentführung und auch noch das „nobody knows, what’s next“. ja „nobody knows“ bewegt sich ganz lautstark durch einen durch, kein thema, kein issue, einfach nur vages gefühl, das anzeigt, wie kümmerlich die eigenen möglichkeiten sind. die möglichkeiten im umgang mit dem, was man situation nennen könnte. dann hält man mit sicherheit wieder eine zeitung in der hand, hört radio oder sieht fern. starrt auf bilder von bodentruppen, in dieser art nachtsicht-grün gehalten, oder auf das verwischte foto von taliban-führern. und man weiß nicht, was das eigentlich soll. alles bekommt den irrealis aufgesetzt. und plötzlich biegt auch der geruch wieder ab richtung wtc, und man reagiert überempfindlich auf die feuerwehrsirenen. woran man alles sterben kann, das hat man sich also jetzt für uns neu ausgedacht. so viele vitamin-b-tabletten kann man gar nicht nehmen, dass man das vergisst. ja, so viele vitamin-b-tabletten für ein stabiles nervensystem! und was hat es einem gebracht? die normale krankheit, in der ich angelangt bin, die vertrauten grippe-kopfschmerzen, die rinnende nase vertreiben mir jedenfalls nicht die bilder von milzbranderkrankungen, die aussehen wie schlecht kolorierte abbildungen in 80er-jahre-schulbüchern, fehlfarben aus dem alten paranoia- film.

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