: „Nicht ohne Verdacht“
Eberhard Kempf vom Deutschen Anwaltverein begründet die Kritik der etablierten Justizverbände an Schilys Plänen, dem BKA mehr Ermittlungsrechte einzuräumen
taz: Haben Sie es schon einmal erlebt, dass das gesamte Justiz-Establishment ein Vorhaben der Bundesregierung geschlossen ablehnt?
Eberhard Kempf: Meines Wissens ist es das erste Mal, dass der Deutsche Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Richterbund und die Strafverteidigervereinigungen in einer gemeinsamen Erklärung ein Projekt der Gesetzgebung zurückweisen. Ich hoffe, das unterstreicht die Tragweite unseres Vorgehens.
Kern Ihrer Kritik ist Schilys Plan, dem Bundeskriminalamt eine „Initiativ-Ermittlungskompetenz“ einzuräumen. Was ist darunter zu verstehen?
Schily will, dass das BKA auch ohne konkreten Verdacht gegen Bürger ermitteln darf. Bisher ist laut Strafprozessordnung ein Anfangsverdacht notwendig, das heißt, es müssen „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine Straftat vorliegen.
Möglicherweise drohen weitere Terroranschläge. Ist es da nicht sinnvoll, dass die Polizei auch im Vorfeld eines konkreten Verdachts ermittelt?
Nicht alles, was der Polizei sinnvoll erscheint, muss auch gemacht werden. Schilys Pläne sehen vor, dass das BKA ohne ein konkretes Ermittlungsverfahren einfach mal drauflosermitteln kann. Das lehnen wir ab. Bisher kann das Bundeskriminalamt nur ermitteln, wenn der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Dabei muss es bleiben. Die Polizei muss unter der rechtlichen Kontrolle der Justiz stehen.
Im Vorjahr wollte das BKA großflächig gegen Islamisten ermitteln, Generalbundesanwalt Kay Nehm hat das aber abgelehnt . . .
Das scheint nun die Antwort zu sein. Man will die Kontrolle der Staatsanwaltschaft offensichtlich loswerden, weil Kay Nehm darauf geachtet hat, dass die Polizei nicht aufgrund vager Vermutungen gegen Bürger vorgeht.
Nun sieht Schilys Entwurf aber vor, dass das BKA im Rahmen der Verdachtsgewinnung keine schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte vornehmen kann. Rasterfahndung, Wanzen und verdeckte Ermittler sollen auch weiterhin nur mit richterlicher Genehmigung eingesetzt werden. Besänftigt Sie das nicht?
Das klingt zwar beruhigend, ist es aber nur bedingt. Wenn erst einmal die Grenze überschritten ist und gegen Bürger auch ohne Verdacht ermittelt werden darf, dann ist doch schon abzusehen, dass sich die Polizei in einigen Jahren nicht mehr mit der Befragung von Zeugen und dem Einholen von Informationen zufrieden geben wird, sondern auch Wanzen und verdeckte Ermittler ohne Verdacht einsetzen will.
Ist die geplante Veränderung des BKA-Gesetzes wirklich ein Tabubruch? Die Landespolizeibehörden können doch heute schon zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ ohne konkreten Verdacht und ohne konkrete Gefahr ermitteln.
Das ist richtig und wurde vom Deutschen Anwaltverein auch schon immer kritisiert. Aber bei den Polizeigesetzen der Länder befindet man sich zumindest noch im Bereich der Prävention, während das BKA bisher keinerlei präventive Befugnisse hat. Schily will das BKA künftig einsetzen wie einen Geheimdienst. Das Grundgesetz sieht aber eine klare Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten vor.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen