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Murks bei der Mammographie

von WERNER BARTENS

An Brüsten wird gegrapscht, geweint, geschmust, gesaugt. Sie sind Spender von Lust und Trost, Sexualität und Nahrung. Oft werden sie zur Schau gestellt – in bunten Blättern, am Strand, beim Stillen. Viel häufiger sind sie intimer Ort für kleines Glück.

Und dann müssen sie plötzlich amputiert werden.

Ursula Goldmann-Posch befand sich im „Niemandsland der Gefühle“, als bei ihr Brustkrebs festgestellt wurde: „Die Diagnose kam wie ein Hammer – und ich habe nichts darüber gewusst.“ Der 52-Jährigen aus Augsburg wurde 1996 die linke Brust abgenommen. Der Tumor war zu groß, als dass nur ein Teil der Brust hätte entfernt werden können. „Vorher dachte ich: Der Knoten muss raus, dann ist alles wieder in Ordnung“, erinnert sie sich, „doch dann wusste ich: Ab mit Schaden, ich muss mit der Lücke leben lernen.“

Fast 50.000 Frauen erkranken in Deutschland jährlich neu an Brustkrebs, etwa 18.000 sterben jährlich daran. Brustkrebs ist der häufigste Krebs bei Frauen, eine Plage, eine Volkskrankheit. Und es kann jede treffen – Alte, Junge, Dicke, Dünne. Da der Krebs so unvermittelt bei jeder Frau wuchern kann, wird seit Jahren darüber diskutiert, wie die Sterblichkeit verringert werden kann. Ärzte, Kassen, Standesorganisationen und Politiker suchen nach Wegen, Brustkrebs effektiver zu bekämpfen. Weil Gentests enttäuschende Ergebnisse brachten, geriet die Reihenuntersuchung in den Blickpunkt. Doch die regelmäßige Mammographie ab einem bestimmten Alter ist umstritten. „Bis heute gibt es in Mitteleuropa kein flächendeckendes Screening“, sagt Uwe Lorenz, Chefarzt der Frauenklinik St. Gallen. Dabei war unter Fachleuten bisher unumstritten, dass eine Reihenuntersuchung der Brust alle zwei Jahre zumindest bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren zu einer deutlichen Senkung der Sterblichkeit führen würde. Auf etwa 20 Prozent weniger Todesfälle durch Brustkrebs schätzten Experten die Vorteile flächendeckender Mammographien.

Doch jetzt sind Zweifel an den Zahlen aufgetaucht. Ein im renommierten Fachblatt Lancet am 20. Oktober erschienener Artikel stellt den Wert der Mammographie massiv in Frage. Die dänischen Wissenschaftler Ole Olsen und Peter Gøtzsche sind zu dem niederschmetternden Ergebnis gekommen, „dass es keine zuverlässigen Beweise dafür gibt, dass durch Mammographie-Screening das Risiko der Frauen verringert wird, an Brustkrebs zu sterben“. Weiterhin behaupten die Forscher, dass durch Screening aggressivere Therapiemethoden gewählt werden und mehr, zum Teil unnötige, Brustamputationen vorgenommen werden. Olsen und Gøtzsche haben schwere Mängel in den bis dato vorliegenden Untersuchungen festgestellt. Deshalb stimmen sie der bislang weitgehend akzeptierten Schlussfolgerung, Mammographie-Screening senke die Sterblichkeit, nicht zu.

Die beunruhigenden Ergebnisse der dänischen Forscher wurden einen Tag nachdem alle Parteien im Bundestag ihre Zustimmung zur Einführung von Röntgen-Reihenuntersuchungen signalisiert haben, veröffentlicht. Karl Lauterbach, Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, hält diesen Weg nach wie vor für richtig – unter der Voraussetzung, dass die Qualitätskontrolle in Deutschland erheblich verbessert wird.

Doch stehen angesichts der Daten aus Dänemark sowohl politische Willensbekundungen als auch die Forderungen etlicher Selbsthilfegruppen nach Mammographie-Screening nicht auf tönernen Füßen? Möglich. Denn das Wort von Olsen und Gøtzsche hat Gewicht. Sie leiten das Cochrane-Zentrum in Kopenhagen. Cochrane-Zentren haben die Aufgabe, die Aussagekraft medizinischer Studien zu untersuchen und zu beurteilen. Deshalb kann man die Meinung der Dänen nicht als Extremposition abtun.

Gerd Antes leitet das deutsche Cochrane-Zentrum in Freiburg und hält die Skepsis an den bisher verfügbaren Daten für berechtigt: „Die Forderung, endlich auch in Deutschland Reihenuntersuchungen einzuführen, muss angesichts dieser Ergebnisse neu bewertet werden.“

Schlechte Ausbildung, alte Geräte

Die Qualität für systematische Mammographien wäre derzeit in Deutschland auch nicht gewährleistet – in zweierlei Hinsicht. Zum einen liegt die Ausbildung im Argen. Jeder Gynäkologe darf nach sechsmonatiger Fortbildung Mammographien durchführen, bei Radiologen sind es nur drei Monate. Viel zu kurz für die diffizile Untersuchung. Zum anderen sind die Geräte häufig veraltet. „Die müssten regelmäßig von einer Art TÜV geprüft werden“, fordert Rolf Kreienberg, Direktor der Uni-Frauenklinik in Ulm und Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft.

So aber werden in Deutschland jährlich zwischen drei und vier Millionen „graue“ Mammographien durchgeführt – Untersuchungen ohne medizinische Indikation und entsprechende Qualitätsprüfung. In der Folge kommt es zu geschätzten 200.000 falschen positiven Befunden und 100.000 Gewebeentnahmen. Aus den Ländern mit Mammographie-Screening weiß man außerdem, dass jeder zweite bis vierte Brustkrebs bei der Untersuchung nicht erkannt wird. Lieber gar kein Screening als schlechtes Screening – wenigstens darin sind sich alle Experten einig.

Dabei beschäftigen sich in großen Kliniken manche Mediziner tagaus, tagein nur mit der Mammographie. Erst langsam werden hier zu Lande spezielle „Mamma-Zentren“ gebildet, wo Onkologen, Gynäkologen und Radiologen zusammenarbeiten. „Solche Diagnose- und Betreuungsketten müssen das Ziel sein“, fordert Kreienberg. In ein, zwei Jahren ließen sich die strukturellen Defizite beheben, glaubt der Mediziner.

In den Niederlanden etwa fahren schon heute 63 „Mammobile“ über Land. Das dortige Brustkrebsuntersuchungsprogramm wurde 1989 begonnen und 1996 komplettiert. Die Untersuchungen werden aus anderen Töpfen finanziert als die übrigen Gesundheitsausgaben. „Dadurch verdient kein Arzt weniger“, sagt Jan Hendriks, Leiter des landesweiten Screenings. Frauen zwischen 50 und 74 erhalten alle zwei Jahre eine Einladung, etwa 80 Prozent nehmen das Angebot wahr. Die Sterblichkeit an Brustkrebs ist in Holland von 1986 bis 1998 um 13 Prozent gesunken. Ein Erfolg des Screenings? Diese Interpretation wird durch die Studien der dänischen Forscher in Zweifel gezogen. Vielleicht sterben in den Niederlanden ja weniger Frauen an Brustkrebs, weil die Therapie besser geworden ist. Hendriks argumentiert aus der Praxis. Für ihn ist es naheliegend, dass die Prognose für eine Krebskranke besser ist, wenn ihr Tumor früher entdeckt wird.

Aber in Deutschland fehlen noch andere Voraussetzungen zur effektiven Früherkennung. Es gibt kein Krebsregister und die Leitlinien zur Behandlung sind uneinheitlich. Jeder behandelt ein bisschen anders. Das Motto „Viel hilft viel“ trifft daher - wie so oft in der Medizin - auch im Fall der Forderung nach Reihenuntersuchungen nicht zu.

Und die Frauen selbst? Fast jede Frau lässt sich nach der Diagnose Brustkrebs operieren. Nur bei alten Frauen mit langsam wachsender Geschwulst und bei sehr ausgedehnten Befunden wird gelegentlich auf den Eingriff verzichtet. Wenn der Tumor nicht zu groß ist, versuchen die Ärzte die Brust zu erhalten. Das gelingt in mehr als zwei Drittel der Fälle. „An manchen Zentren behalten 80 Prozent der Frauen ihre Brust“, sagt Kreienberg.

Die Diplompatientin

Am 10. Juli hatte Ursula Goldmann-Posch Jubiläum. Fünf Jahre zuvor wurde ihre Brust abgenommen. Den Jahrestag hat sie in einem Dessousgeschäft in Kassel begangen, hat mit der Besitzerin geredet über Körbchengrößen und Oberweiten. Goldmann-Posch hat ein Buch* geschrieben und 1999 die Selbsthilfegruppe „Mamazone“ gegründet. 350 Frauen haben sich zusammengeschlossen – mit ungewöhnlichen Ideen. Mamazone verleiht den „Busenfreund“, einen Preis für Mediziner, die sich um die Erforschung von Brustkrebs verdient gemacht haben. Auf einer Tagung im Oktober ging es um die Ausbildung zur „Diplompatientin“. Frauen müssen mehr wissen, findet Goldmann-Posch, sie sollen zu Expertinnen ihrer Gesundheit werden.

Für die kranken Frauen ist der Streit um die Mammographie zynisch. „Ich fühle mich als Opfer der gesundheits- und standespolitischen Defizite in diesem Land“, sagt Goldmann-Posch. Jetzt erfahren Frauen zusätzlich, wie der Sparkurs im Gesundheitswesen Leistungen einschränkt. Eine Frau mit Brustkrebs, die sich unzureichend betreut fühlte, schrieb an Mamazone: „Sparen ist nötig, aber nicht auf Kosten der Patientinnen. Ich habe das Gefühl, dass mein baldiges Ableben am meisten Kosten sparen würde.“

Der Autor ist Arzt und Redakteur der Badischen Zeitung *Ursula Goldmann-Posch: „Der Knoten über meinem Herzen“. Goldmann, München 2001, 416 Seiten, 18 DM

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