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„So dumm, das ist nicht vorstellbar“

Anwalt des verhafteten Islamisten aus Köln bestreitet Terrorpläne. Schily will „Kalifatstaat“ noch intensiver beobachten

KÖLN taz ■ Michael Murat Sertsöz ist von der Unschuld seines Mandanten überzeugt: „Herr Aydin hatte bestimmt nicht die Absicht, einen Märtyrertod zu sterben“, sagte der Kölner Anwalt gestern. Der Bundesgrenzschutz hatte den 29-Jährigen am Mittwoch vergangener Woche aus einem abflugbereiten Flieger der „Iran-Air“ geholt und verhaftet, nachdem in seinem Gepäck ein ABC-Schutzanzug, eine Sturmmaske und weitere sonderbare Utensilien gefunden worden waren.

Mit Tarnanzug und CD-Anleitung in den „heiligen Krieg“ nach Afghanistan? „Das wäre so dumm, das ist nicht vorstellbar“, sagt Aydins Anwalt. Sertsöz behauptet weiterhin, dass Aydin wohl fälschlicherweise das Gepäck eines anderen zugeordnet worden sei. Was der Medizinstudent aber auf jeden Fall dabei hatte, so muss auch sein Anwalt einräumen: einen Laptop und CDs. Darauf fanden sich Kriegsszenen vom „heiligen Krieg“ in Tschetschenien und anderes, was er sich sich von der inzwischen (nach einem taz-Bericht) gesperrten radikal-islamistischen Internetseite www.qoqaz.de heruntergezogen hatte.

Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft bezeichnete Sertsöz als „sehr wackelige Konstruktion“ und beantragte einen Haftprüfungstermin. Alleine schon die Behauptung, Aydin sei ein „Schläfer“, sei völlig absurd: „Der ist doch allen Behörden bekannt.“ In der Tat: Denn Harun Aydin ist ein führendes Mitglied des so genannten „Kalifatstaats“ von Metin Kaplan. Er erstellt die Verbandszeitung Ümmet-i Muhammed und ist auch noch der Schwippschwager des selbst ernannten „Kalifen von Köln“. In der Selbstdarstellung des Verbandes heißt es: „Ein jeder von uns ist ein freiwilliger Soldat, ein natürlicher Stab der islamischen Armee.“

Mit der Verhaftung Aydins dürfte der „Kalifatstaat“ seiner Zwangsauflösung wieder einen Schritt näher gerückt sein. Innenminister Otto Schily kündigte gestern an, die Organisation werde jetzt noch intensiver beobachtet. Nach der Abschaffung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz schien ein Verbot ohnehin nur noch eine Frage der Zeit. Bereits als Schily am 5. September seine Gesetzesänderungspläne vorstellte, erwähnte er den Kaplan-Verein als exemplarisches Beispiel für extremistische Vereinigungen, „die sich als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften tarnen“.

Kaplan, der zurzeit eine vierjährige Haftstrafe verbüßt, ist nicht der einzige Repräsentant des „Kalifatstaats“ im Gefängnis. Muntasir Billah wird sogar noch etwas länger als sein Kalif einsitzen müssen. Unter seinem bürgerlichen Namen Bernhard Falk verurteilte ihn das Oberlandesgericht Düsseldorf im September 1999 zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren.

Das Gericht befand Falk für schuldig, in den Jahren 1992 bis 1996 zusammen mit einem Mitangeklagten als selbst ernannte „Antiimperialistische Zelle“ (AIZ) Sprengstoffanschläge und Mordversuche in vier Fällen begangen sowie den Mord an dem SPD-Politiker Freimut Duve verabredet zu haben. Oberstaatsanwalt Peter Ernst urteilte damals in seinem Schlussplädoyer, die AIZ sei „das Skurrilste, was die Linke hervorgebracht hat“.

Heute ist Falk ein glühender Kaplan-Anhänger und schreibt aus dem Gefängnis euphorische Briefe an seine Glaubensbrüder. PASCAL BEUCKER

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