bernd müllender über Plagen: Verhaixt in Aix
Eine Betrachtung zum Leiden an der Kreativität und dem unoriginellen Zwang zur Originalität
Dass die folgende Betrachtung über das Wesen der höheren Witzigkeit und die Raffinesse der Namensfindung nur in Aachen entstehen konnte, hat mehrere Gründe. Der erste liegt in Aachens Lage im Alphabet begründet – vorner geht nicht mehr, weshalb die Stadt ganz offiziell und cleverclever auf den offiziellen Titel Bad im offiziellen Namen verzichtet. Bad Aachen liefe ja unter ferner liefen. Schon das ist quasi zwangsoriginell. Und setzt Maßstäbe.
Aachen ist zudem als Humorstandort eisern positioniert (man lacht über den Orden wider den tierischen Ernst), und: Aachen liegt im Dreiländereck und grenzt damit auch an die frankophone Region Belgiens, die Wallonie. Also hat Aachen neben dem schlichten niederländischen Namen Aken auch einen französischen: Aix-la-Chapelle. Und weil man in der Aachener Provinzialität immer schon damit kokettierte, sich besonders weltläufig und geschichtsbewusst zu geben, hat der wohlklingende Name Besitz von Herz und Verstand der EinwohnerInnen genommen. Aix ist angesagt. Aix ist überall. Und: Aix zersetzt das Leben.
Stellen Sie sich vor, Sie gründen eine Firma: Da gibt man sich einen modernen, humornahen Namen. Dieser, raten Marketing-Fachleute, solle identitätsstiftend sein, möglichst prägnant, leicht merkbar und unverwechselbar. Besonders kreativ ist eine Verbindung zwischen Produkt und Herkunft, am besten lokal und international wirkend.
Also zum Beispiel das Wortspiel mit Aix. Aixtron, die Software-Firma aus Aachen, die auch den gebeutelten Nemax-50-Investoren bekannt ist, war eine der ersten Aix-Schöpfungen. Schnell ging es weiter, nach Art des Flächenbrandes. Französische Weine gibt es in den Höhlen bei Caves d’Aix. Es zieht Sie auf die Bühne: vielleicht zum Aixpertentheater? Den neuen Gebrauchtwagen gibt es in Aachen bei Aix Automobile, versichert wird er bei AIXellent. Die Büro-AIXperten helfen am Schreibtisch, das Vermögen verwaltet die AIXpert GmbH? Feine Körperpflegemittel? Bei Aixclusive Cosmetique.
Aix, Aix, Aix. Wenn man AixConsult konsultiert, kann man erfahren, dass AixHibit zumindest kein Exhibitionistenzirkel ist, sondern nur etwas Artverwandtes: ein Homepage-Designer. Zum Flughafen nach Köln geht es mit dem Airport-Aixpress. In die Luft mit der Firma AixBalloon. Aix Libris ist der Antiquar, Aixakt eine Druckerei, neue Software bietet Aixtrasoft. Und überall in Aix-la-Chapelle belagern einen Aix-Reklamen und Aix-Sprüche.
Die unverwaixelbare Stadt leidet an einer aixzessiven Aix-Manie. Es gibt kein Entkommen. Schon droht das Alltagsleben aixtrem aus den Fugen zu geraten: Bald wird in Aachen aixhumiert (Friedhofsservice GmbH), Stadtführungen heißen beschmunzelt Aixpedition, Museen zeigen in ihren Waixelausstellungen nur noch aixtravagante Aixponate des Aixpressionismus, an der Hochschule macht man aixotisch aixaltierte Aixamen. Im Fernsehen läuft Kommissar Raix. Ersatzweise hat man mit dem oder der Aix Saix. Am besten französisch. Vielleicht sogar in einer Chapelle.
Der Taixter dieser Zeilen wirkt in der Aix-Stadt in einem gemischten Chor mit. Kaum gegründet, begab sich unser Ensemble auf Namenssuche. Früher hätte man Victoria genommen, Harmonia Aachen oder ein kühnes Sangesfreunde Rheinlandia. Fertig. Heute ist Witzigkeit Pflicht. Vielleicht Singsport? Oder Voice‚R’Us? Oder Polydisharmoniker? Vieles wurde erdacht – und verworfen. Allzeit angenehm: Nie kam ein Aix-Wortspiel auf.
Aber auch ohne dieses grassierte bald ein zunehmender Zwang zu Originalität: Wie wäre es mit: LiChörchen? Nein, moserten andere: Zu soft, eher was für einen Schwulenchor. Oder: Liebe Onkels – Fiese Tanten? Nein: Die Sängerinnen fühlten sich diskriminierter als gerührt. Bass und Tenor boten als Alternative: Die bezaubernden Chortisanen und ihre kleinen Chorfürsten. Man, besser frau, lachte mehrheitlich. Trotzdem: zu lang. Also weg damit.
Monate ging das so. Chortison? Chorschatten? Oder Choroform vielleicht, die eher betäubende als betörende Gesangscombo? Wieder gab es Skeptiker. Oder Inchortinent (weil wir die Töne nicht halten können)? Durchs wilde Chordistan? Karl-May-Hasser legten ihr Veto ein. Chorlera and the Black Pestsingers? Neee. Gemischte Gefühle hätte auch was. Gibt es aber schon, ergab die Internetrecherche, zudem heißt ein Oeuvre von Jürgen Markus so. Einhellige Ablehnung also – igitt. Verwischte Gefühle setzte sich auch nicht durch.
Am Ende schienen alle Wortspiele durch. Die Originalität war am Ende. Jetzt heißen wir halt, bis auf Widerruf, Chor ohne Namen. Das ist in Aix sehr kreativ und geradezu widerspenstisch. Und das ist gut so. Denn dann hörten wir von einem neuen Männerensemble im Freundeskreis. Es hat sich Aix-Harmonists genannt.
Ach du mein lieber Herr Gesangsverein! – das ist so originell wie ein Toastbrot, so spritzig wie ein Ave Maria. Es ist wie verhaixt in Aix. Am besten geht man ins Aixil.
Fragen zu Plagen?kolumne@taz.de
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