: Schlamperei schuld an Zugunglück
Der Prozess um die Brühler Eisenbahn-Katastrophe wird wegen geringer Schuld der Angeklagten eingestellt. Die eigentliche Ursache für den Unfall liegt in Versäumnissen der Bahn. Sicherheitsmaßnahmen sind inzwischen deutlich verbessert worden
von KLAUS HILLENBRAND
Der Prozess um das Zugunglück von Brühl, bei dem im Februar 2000 neun Menschen getötet und 149 verletzt wurden, ist gestern wegen geringer Schuld der Angeklagten eingestellt worden. Staatsanwaltschaft und Verteidigung folgten einem entsprechenden Vorschlag des Kölner Landgerichts. Der Lokführer des Nachtexpress Amsterdam-Basel und drei weitere Bahn-Mitarbeiter erhielten Geldbußen zwischen 7.000 und 20.000 Mark. Die Einstellung sei „kein Freispruch“, betonte der Vorsitzende Richter Heinz Kaiser.
Als eigentlich Schuldige an dem Zugunglück hatte sich im Lauf des fünfmonatigen Verfahrens die Deutsche Bahn AG entpuppt. Unglaubliche Schlampereien und Fehler im Sicherheitssystem bei der Bahn entlockten dem Richter mehrfach schieres Unverständnis. Kaiser diagnostizierte „Fehlentscheidungen, Versäumnisse und Unzulänglichkeiten“, die die Entgleisung des Zugs wegen zu hoher Geschwindigkeit zur Folge hatten. Dem angeklagten Lokführer Sascha B. attestierte er ein “Augenblicksversagen“.
Der Nachtexpress, besetzt mit rund 300 Reisenden, war an einer Baustelle auf der Strecke von Köln in Richtung Bonn verunglückt. Der Lokführer hatte den Zug an einem sogenannten Ersatzsignal zwar auf 40 km/h abgebremst, war danach aber entgegen den Vorschriften wieder mit Tempo 120 weiter gefahren. An einer Weiche im Bahnhof Brühl hoben Lokomotive und Wagen von den Gleisen ab und stürzten eine Böschung hinab.
Der objektive Fehler des Lokführers, so stellte sich im Prozess heraus, wurde jedoch durch sich widersprechende Anweisungen ausgelöst. So verlangte das entsprechende Signal zwar 40 km/h, zugleich erlaubte eine schriftliche Anweisung aber eine Geschwindigkeit von 120 km/h. Die widersprüchlichen Angaben waren Bahn-Mitarbeitern schon vor dem Unfall bekannt. Geändert wurde indes nichts: „Das hätte doch nur die Papierflut erhöht“, gab ein Sachbearbeiter im Prozess zu Protokoll. Stattdessen empfahl man, die Lokführer telefonisch auf die Baustelle aufmerksam zu machen. Doch in der Nacht des Unglücks war –nicht zum ersten Mal – der Zugbahnfunk gestört. Eine elektrische Einrichtung zum Abbremsen des Zuges war an der Baustelle nicht vorhanden. Und: Lokführer Sascha B. war nicht nurgleich zweimal durch die Prüfung gefallen, auch eine Nachschulung unterblieb – offiziell wegen Personalengpässen. Seine Prüfungsunterlagen waren zuvor verloren gegangen.
Die Bahn hat inzwischen aus dem Brühler Unglück gelernt: Auch an Baustellen können Züge jetzt automatisch abgebremst werden, wenn sie zu schnell fahren. Lokführer werden an Simulatoren ausgebildet und müssen mehrere Monate mit einem erfahrenen Kollegen mitfahren, bevor sie für eine bestimmte Strecke die Fahrerlaubnis erhalten. Eine neuer Führerschein klassifiziert Lokführer, je nach ihrer Erfahrung, zum Fahren von Rangier-, Güter- oder schnellen Reisezügen. Für Baustellen zuständige Sachbearbeiter erhielten eine Nachschulung. Und: Das Unglücksgleis von Brühl wurde inzwischen abgebaut.
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