„Polygamisten haben Angst“

Wahrheit ist die einzige Waffe, die funktioniert: Der Schriftsteller Joshua Sobol über die aktuellen Apartheid-Tendenzen in Israel sowie zur Frage, warum Islamisten den Westen hassen müssen

Interview JÜRGEN BERGER

taz: Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler sagen im Moment Reisen ab, weil sie Angst haben. Sie kommen dennoch auf Lesetour nach Deutschland?

Joshua Sobol: Ich versuche, meiner Angst nicht zu erlauben, meine Handlungen zu beeinflussen. Genau das wollen Terroristen ja erreichen. Sie wollen, dass andere Menschen ängstlich, irrational handeln.

Gerade erschien Ihr Roman „Schweigen“ auf Deutsch. Er ist durchzogen vom Widerstreit zwischen Irrationalität und Rationalität. Es gibt Figuren, die Religiosität mittels alttestamentarischer Angstszenarien erzwingen wollen. Und es gibt Rationalisten, die nur der eigenen Logik vertrauen.

Ich würde sogar sagen, dass der Ich-Erzähler ein prototypischer Rationalist ist. Dazu gehört paradoxerweise auch, dass er das Sprechen verweigert. Sobald man spricht, ist man im Dialog, muss Werte anderer akzeptieren, Kompromisse eingehen, sich kompromittieren. Nichtsprechen bedeutet für den Jungen, Integrität zu wahren.

Sind Sie selbst seit dem 11. September in Dialoge involviert?

Allerdings. Der wichtigste besteht darin, dass ich versuche, israelische Araber und jüdische Israelis in Gesprächen zusammenzubringen. Seit der Intifada und dem 11. September leben wir in großer Gefahr, dass Apartheid-Tendenzen stark werden und jüdische Israelis zunehmend die Bürgerrechte arabischer Israelis negieren. Das ist sozusagen der innenpolitische Aspekt meines Dialogs. Im Moment beschäftigt mich allerdings auch stark damit, was dieser allseits proklamierte „Clash of civilizations“ tatsächlich bedeuten könnte.

Und?

Ich habe ganz und gar nicht den Eindruck, als prallten gerade tatsächlich islamische und christliche Werte aufeinander. Für mich sieht es eher so aus, als würde auf der einen Seite die westliche Zivilisation stehen, die Weiblichkeit akzeptiert und immer mehr zu einer Kultur wird, in der man sexuelle Freiheit und unter anderem auch gleichgeschlechtliche Liebe offen lebt. Auf der anderen Seite steht die islamische Zivilisation eines männlichen Chauvinismus, in der alle Männer Kämpfer sein müssen und Frauen nicht einmal dann ihr Gesicht enthüllen dürfen, wenn sie wie in Afghanistan exekutiert werden.

Warum hassen Islamisten die westliche Kultur?

Ein wesentlicher Grund liegt für mich darin, dass islamische Männer Polygamisten sind und deswegen die Gleichheit der Geschlechter nicht zulassen dürfen. Dann blicken sie in die westliche Zivilisation, in der man monogam lebt, nicht mehr heiratet und die Geschlechter gleichberechtigt die Freiheit des Geschlechtsverkehr suchen. Davor müssen Polygamisten Angst haben.

Israel ist einer der heißesten Punkte der Welt, an dem dieser Konflikt ausgetragen wird. Droht das Land zu explodieren, da auch Premier Scharon ein chauvinistischer Krieger ist?

Die Gefahr besteht, obwohl der israelisch-palästinensische Konflikt mit den Vereinbarungen von Camp David eigentlich bereits gelöst ist.

Will Scharon inzwischen tatsächlich wieder die Westbank und den Gazastreifen okkupieren?

Ich glaube nicht. Sollte er die Illusion haben, ist vielleicht sogar ganz gut, was im Moment geschieht. Der rechte Flügel in Israel kommt wohl erst zur Vernunft, wenn er mit dem Kopf gegen die Wand gerannt ist. Ich meine das gar nicht so zynisch, wie es klingt. Es ist wohl realistisch, dass ein bestimmter Menschentyp sich zuerst einmal eine blutige Nase holen muss.

Was halten Sie davon, dass man Arafat derzeit mit Ussama bin Laden vergleicht?

Pures Entertainment, Wortgeklingel und genauso wenig ernst zu nehmen wie damals, als Begin Arafat mit Hitler verglichen hat.

Sagen Sie in Ihrem Roman nicht auch, dass Sprache als Waffe verwendet wird?

Aber die Wortwaffen, die ich in meinem Roman beschreibe, funktionieren doch gar nicht. Was wirklich trifft, ist die Wahrheit. Und die ist zum Beispiel, dass Arafat ein miserabler Staatsmann ist. Die Intifada ist ein grauenvoller Fehler. Sogar meine palästinensischen Freunde sagen, dass Arafat völlig inadäquat reagiert. Schon mit Blick auf Scharons offensichtliche Provokation, als der den Tempelberg besuchte, sagen kluge Palästinenser: Wäre Arafat ein kluger Staatsmann, hätte er gesagt: Bitte, Herr Scharon, kommen Sie doch. Wenn Sie unser Gast sein wollen, sind Sie herzlich eingeladen. Damit hätte er gezeigt, dass er Herr der Lage ist.

Sie wirken im Moment sehr entspannt. Haben Sie keine Angst?

Wir leben in einer sehr unglücklichen und ungesunden Zeit. Aber vielleicht sind das genau die Konflikte, die wir durchstehen müssen. Meine Gefühle sind dabei allerdings alles andere als positiv.