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Klischees von Anno dazumal

Die Berliner CDU hat den Mittelstand mit der Mitte verwechselt und Frauen als „die Blonde an seiner Seite“ inszeniert. Damit verliert man auch die Bundestagswahl

Themen sind wichtig, gewiss, aber entschieden wird die Bundestagswahl durch die politische Ästhetik

Das hat es noch nie gegeben in der Bundesrepublik: Von jetzt auf nachher verliert eine ehemalige Volkspartei mehr als die Hälfte ihrer Abgeordneten. In Berlin hat die CDU noch ganze zwei Sitze mehr als die PDS. Es ist ein Abgrund, der sich da für die CDU auftut, auf dessen Grund bereits die Hoffnungen der italienischen Christdemokraten und der britischen Konservativen begraben sind. Beide waren einmal stolze und starke, eben strukturelle Mehrheitsparteien, ganz so wie dereinst die Union mit ihren 48,8 Prozent bei der Bundestagswahl 1983. Nicht einmal zwanzig Jahre ist es her oder schon eine politische Ewigkeit?

Wie in Italien, Britannien und anderswo muss es für CDU und CSU nicht kommen. Deutschland zeichnet sich durch ein erstaunlich stabiles Parteiensystem aus. Das wird nur dann so bleiben, wenn die Parteien lernfähig sind. Dafür gibt es ein einfaches Maß: die Anzahl der Wahlniederlagen, die sie brauchen, bis das Umdenken beginnt. Im Wahljahr 2001 hat die CDU fast durchweg – mit der bemerkenswerten Ausnahme Baden-Württemberg – im negativen Sinne rekordverdächtige Ergebnisse erzielt: in Rheinland-Pfalz, in Hamburg, jetzt in Berlin. Immer aber waren es, so lernen wir, besondere regionale Umstände, nie hat der Niedergang etwas mit allgemeinen Entwicklungen oder gar mit Ausfallerscheinungen der CDU zu tun. (In der Wissenschaft spricht man von Ad-hoc-Erklärungen und weiß, dass diese nichts taugen.) Dieses Ritual wird so bleiben bis zur Bundestagswahl 2002. Dann zeigt sich, ob die Union sich anschickt, es der SPD gleichzutun, die in den 50er- und 60er- sowie in den 80er-und 90er-Jahren mit bemerkenswerter Kontinuität Wähler verloren hat, oder ob es die Union wie 1972 schafft, nach nur einer Niederlage in der Opposition den Trend zu wenden.

Das setzt freilich voraus, dass die Ursachen mit einer gewissen Härte in den Blick genommen werden. In Berlin jedenfalls kann die CDU ganz gut studieren, wie der Weg in die Niederlage aussehen kann.

Da wird nun geklagt, die Union sei mit ihren Themen nicht durchgedrungen. Andere fordern sie auf, die Erneuerung fortzusetzen. Die schlichte Wahrheit ist: Die CDU hat in Berlin gar keine Themen thematisiert, mit denen sie hätte „durchdringen“ können. Die Probleme der Stadt, dieser Subventions- und Zuwendungsgemeinschaft ohne wirtschaftliche Attraktivität und ohne ziviles Selbstbewusstsein, versenkte sie im Wahlkampf ins Nirgendwo, nach dem Motto Diepgens (der sich nicht von ungefähr nach seinem Sturz aus dem Staub gemacht hat): Berlin gehe es ganz gut, nur der Haushalt habe ein paar Probleme, und das bei rund 70 Milliarden Mark Schulden und 11 Millionen Mark täglichen Zinsen. Die Kampagne gegen PDS und Rot-Rot, aus alten Zeiten frisch auf den Tisch, trieb ihr im Westen keine Wähler zu, vertrieb aber all jene im Osten, die sich 1990 und danach bei einer konservativen Partei nicht schlecht aufgehoben fanden, jetzt aber ihre Vergangenheit, ihre Vorurteile und ihren Wunsch nach Selbstachtung lieber bei der PDS deponieren. Die Erneuerung schließlich hatte gar nicht erst begonnen.

Ein junger Kandidat aus dem alten Milieu hat alle Klischees über die CDU bedient, die Wolfgang Schäuble und Angela Merkel zu überwinden sich viel Mühe gegeben haben. Jung sein reicht eben nicht. Der Kandidat hat geredet, wo er besser geschwiegen, und er hat (mit Wowereit) geschwiegen, wo er besser geredet hätte: über den desolaten Zustand der Stadt und was das alles mit der CDU (und natürlich der SPD!) zu tun hat. Dann wäre vielleicht die Ahnung eines neuen Anfangs aufgekommen. Wenn sich der Spitzenkandidat mit seiner Frau nicht wie in einem Heimatfilm der frühen Jahre („Schatz, wie geht es dir?“) inszeniert hätte: er groß und kräftig, sie blond mit blauen Augen, die andächtig aufblicken, ihr Kopf schmiegt sich an starke Schultern. Warum eigentlich auch nicht? Menschen mögen Träume und Seifenopern, und viele mögen sie mehr als nackte Tatsachen. Was spricht also dagegen? Es waren Bilder aus vergangenen Zeiten. Frauen, in West und Ost, mit oder ohne Partner/Familie, ob aus linkem oder bürgerlichen Milieu, wollen nicht nur „an seiner Seite“, sondern auch auf eigenen Beinen stehen. Und finden das ganz gut so – wie übrigens auch die Männer, die die intellektuelle und finanzielle Unabhängigkeit ihrer Frauen längst als ganz praktisch schätzen. Zu diesen Bildern kam noch die Rhetorik des alten Mittelstandes, auch sie aus einer anderen Welt. Man mag ihn loben und preisen, weil er Arbeitsplätze schafft. Eine Partei aber, die ihn mit der Mitte der Gesellschaft verwechselt, ist mit 23,7 Prozent noch gut bedient. Mitte und Mittelstand waren einmal identisch. Es waren die großen Zeiten der CDU. Die eigene Mittelstandsvereinigung aber für die Mitte der Gesellschaft zu halten: das ist eine jener bleiernen Selbsttäuschungen, die die CDU an jeder Bewegung Richtung Mehrheit hindern und, so in Berlin, die neuen Selbständigen sogar bei der PDS Zuflucht suchen lässt.

Das alles und natürlich das Milieu, das die Banken- und Spendenaffäre erst ermöglicht und dann deren politisches Ausmaß nicht begriffen hat, ließen die CDU in Berlin politisch und vor allem kulturell ins Off geraten. Die Überraschung danach war groß, wie schon 1998: Die Leute wollten wohl nicht mehr so leben, so wurde nach der letzten Bundestagswahl Michael Glos von der CSU zitiert, wie wir das gerne hätten. Das kann man so sagen.

Was ist die Moral von der Geschicht? Themen sind wichtig, gewiss, und im kommenden Jahr werden es die innere und äußere Sicherheit, Wirtschaft und Arbeitslosigkeit sein. Entscheiden aber werden Anmutung und Ausstrahlung: einer Person, einer Partei, einer Regierung. Es geht um politische Ästhetik, um die wechselseitige Wahrnehmung von Politik/Partei und Gesellschaft, um die Bilder, die sie sich voneinander machen, und ob sich die Menschen in diesen Bildern wiederfinden.

Die CDU hat in Berlin gar keine Themen thematisiert, mit denen sie hätte „durchdringen“ können

„Mitten im Leben“, so möchte die CDU gerne gesehen und gewählt werden. Das Berliner Ergebnis kann man als Kommentar der Wähler zu diesem Anspruch lesen: Wer sich aus der kulturellen Mitte der Gesellschaft herauskatapultiert, wird bald auch das politische Geschehen nur vom Rand beobachten. Dass sich diese Falltür für die gesamte Union öffnet, ist vorläufig nur eine Gefahr, mehr nicht. Berlin ist nicht Deutschland. Nur sollte klar sein, was das bedeuten würde: In England sorgt vieles, auch ein anderes Wahlsystem, dafür, dass aus dem Grab der Konservativen keine Ungeheuer wachsen. Berlusconi und Haider zeigen die anderen Möglichkeiten, wenn die Tanker der großen Integrationsparteien erst einmal auf Eis gelaufen sind und brechen. Das wird hierzulande nicht heute und nicht morgen geschehen. In der Zwischenzeit werden sich Partei und Publikum mit den wirklich wichtigen Dingen beschäftigen. Mit der K-Frage beispielsweise. Mit dem Stühlerücken in der ersten Reihe. Auch wenn dahinter die Reihen immer lichter werden.

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