Begehrt wird, was nicht sein darf

■ Das Oldenburger Theater Wrede spielt ein sehr gelungenes Stück über die „Kultautorin“ Sybille von Berg. Die erscheint als ätzend narzisstische, mediengemachte Gestalt, die Beklemmendes zutage fördert

Frau von Berg hat sich rausgeputzt. Sie gibt die Diva, im schulterfreien Edelfummel, der legendäre Lidstrich sitzt, wie immer.

Natürlich hat sie Personal. Strenge junge Damen öffnen eine Gittertür, nur einzeln und nach eingehender Inspektion darf das Publikum zur Lesung der selbst ernannten Kultautorin eingelassen werden. Denn sie begrüßt jedeN persönlich und signiert ein Büchlein: „Flex II“ aus dem hohoho-Verlag. Das ist natürlich alles ein Witz, und davon hat die neue Inszenierung des Oldenburger Theater Wrede viel.

Allerdings bleibt der Humor von „Do you like me“ nach Texten der Sybille von Berg eher im Halse stecken, das Publikum kommt in Verhaltensschwierigkeiten. Denn die Ergüsse eines Menschen, der irgendwie den Anschluss an das Leben verpasst hat und nun sarkastisch darauf rumtrampelt, geraten in der Bearbeitung von Miriam Schneider (Text), Winfried Wrede (Regie) und Jürgen Salzmann (Videoinstallationen) zu Existenzfragen in einer medial vermittelten Realität, denen sich die Zuschauer hier eben nicht im puren Voyeurismus entziehen können.

Als Betrachter des „Fall Berg“ werden wir in diesem Irrenhaus selbst Insassen. Der ätzende Narzismus der Kultautorin ist in seiner Allgemeingültigkeit der eigentliche Stoff des Stückes. So wird die Berg erstmals genießbar.

Anfangs geht–s hier aber ab in den Keller. Da sitzt sie ja schon wieder, die Diva, vor altrosa getönter Blümchentapete mit dem Portraitfoto ihres Hundes – ein Boxer – eine orangefarbene Stehlampe beleuchtet die Buchseiten. Eine freundliche Lesung, eine Märchenstunde, mit den gewollt schockenden Texten – ironischer Kontrast. Dazu prostet das Alter Ego dieser Dame ihr aus einem Maschendrahtverhau zu, gibt unflätige Kommentare ab, die Kanalisation rauscht in diesem feuchten Loch.

Szenenwechsel. Das Personal verteilt ekelhafte weiße Fließstoffkittel: Operationshemdchen, die am Rücken geschlossen werden und grüne OP-Mützchen. Da sitzt sie nun, in einem verglasten Raum, auf drei Monitoren direkt übertragen, Frau Berg interviewt sich selbst. Eine groteske Inszenierung, in der Marga Koop als Sybille 1 zum zu begutachtenden Fall wird. Umgeben von Videokameras und Mikrophonen stilisiert sie sich als Star in seiner Box. Und Sybille 2 – die kindliche (Daniela Josefina Schönbach) – tobt in einem Gitter rum. Sartre blinzelt hier mit existentialistischen Fragen der gesellschaftlichen Rolle um die Ecke, doch bei den beiden Sybilles ist der Fall ernster. Denn sie sind irgendwie gar nicht in dieses Leben getreten, nur medial vermittelt da und ansonsten voller Zynismus und Abscheu für das normale Durchschnittsglück. Begehrt wird, was doch nicht sein darf.

In einer wundervollen Abschlussszene toben die beiden Sybilles im Paillettenkleid durch die Gegend, spielen mit ferngesteuerten Autos, die mit eingebauter Videokamera durch Bungalowsiedlungen, die Lebenswelt blonder Barbiepuppen rollen. Auf den Bildschirmen und Leinwänden im Raum erscheinen Bilder aus Barbietown. Sibylle 1 und 2 sinnieren über die Paarsucht unserer Tage und dass das Durchschnittsglück erst perfekt zu sein scheint, wenn man zusammen im Campingbulli wegfahren kann. „Paare sind, wenn der Einzelne aufhört zu existieren“, und das können Narzissen natürlich nicht wagen.

Am Ende springen beide auf ein Motorrad, angefeuert von „Go, Sille, Go“-Rufen, und brausen in die Oldenburger Nacht. Endlich, denkt man, und verlässt mit dem Raum auch die eigene Haut, die einem in diesem sehr gelungenen Stück immer enger wurde.

Marijke Gerwin

Die nächsten Aufführungen: Am 9., 10., 14., 16. und 17. November, jeweils um 20 Uhr in der Theaterfabrik, Rosenstraße 2, Oldenburg