Glamourös behindert

Die Ausstellung „Bilder, die noch fehlten“ im Willy-Brandt-Haus porträtiert Menschen mit Behinderungen. Und die englische Gruppe „Amici“ erzählte in der Akademie der Künste gleich von einem ganzen Jahrhundert der Ausgrenzung

Sie sind schön und sie sind unvollkommen. Wie einen antiken Torso, dessen Wert mit jedem Anzeichen seiner Verletzlichkeit noch steigt, hat Nick Knight den Oberkörper einer Frau ohne Arme ins Bild gesetzt. Farbige Lichtflächen ziehen über sie wie über eine Skulptur. Nick Knight, Star der englischen Modeszene, verschmilzt Zitate der Kunstgeschichte mit dem Glamour der Gegenwart: Wie eine dadaistische Puppe mutet eine zerzauste Blonde an, durch deren Rock aus Reifen die Beinprothesen vom Knie abwärts sichtbar werden.

Sind dies digitale Manipulationen oder tatsächlich versehrte Körper? Man ist sich nicht sicher, denn so ungewöhnlich ist in einer Welt, die sich mit Schönheit panzert und Gesundheit zur Pflich erklärt, ein Blick auf körperliche Handicaps, der ohne Mitleid auskommt. Knight verließ mit seinen Fotografien nicht die Bühne der medial repräsentierten Körper; er wechselte nicht von der Modefotografie zur Sozialreportage, um sich mit Behinderung auseinander zu setzen. Gerade deshalb schlugen seine Bilder so ein, als sie vor drei Jahren herauskamen.

Seine Arbeiten kannten Gabriele Honnef-Harling und Klaus Honnef bereits, als sie von der Aktion Mensch und dem Deutschen Hygiene Museum den Auftrag erhielten, Behinderung jenseits gewohnter Klischees zu thematisieren. Sie sprachen Foto-Künstler und Modefotografen an. Bilder von Behinderten findet man manchmal im Briefkasten, mit Spendenaufruf als Anhang. Die Medien interessiert besonders der Behindertensport, der tapfer das System von Wettkampf und Leistung, dass die Gesunden oben hält, bestätigt. Das war es dann auch schon. Andere Bildmuster gibt es kaum.

Nicht auf den vermeintlich objektiven Blick sondern auf die Inszenierung haben die Kuratoren gesetzt. Denn sie verstehen Wahrnehmung nicht als natürlichen Vorgang sondern als Ergebnis kultureller Einübung. So werden die Porträtierten zu Co-Autoren. Bei Michael Bause besetzen Menschen im Rollstuhl die Rollen von Polizisten, Nachrichtensprechern, Richtern und Angeklagten. Mit Sonnenbrille, Krawatten und im dunklen Anzug baut sich die Band Station 17 vor Anton Corbijn auf, mit diebischer Lust in die Muster bürgerlicher Repräsentation schlüpfend.

Die Künstler machen sich nichts vor. Für sie ist die Arbeit mit Modellen und Darstellern, die mit Abweichungen leben lernen müssen, oft der Neugierde geschuldet, aus dieser besonderen Perspektive für ihr eigenes Thema Neues zu entdecken. Das funktioniert und beiden Seiten profitieren von der Verschiebung des Blicks. Es war nur ein Zufall: Während die Ausstellung im Willy-Brandt-Haus eröffnete, gastierte in der Akademie der Künste „Amici“, deren Musiker und Darsteller zum Teil mit großen Handicaps leben. Die Gruppe kommt, wie Nick Knight, aus London. Die Ankündigung ihres Stücks als „eine aufregende, pulsierende und einzigartige Reise durch das 20. Jahrhundert mit Tanz, Musik und Gesang“ ließ das Publikum allerdings etwas unvorbereitet auf ihren Trip durch den real existierenden Schreckens treffen. Sie führten eine groteske Revue auf, die in schaurigen Balladen und expressiv stilisiertem Spiel die Geschichte des 20. Jahrhunderts als eine der fortgesetzten Ausgrenzungen erzählte. Unentwegt führten Rollstuhlfahrer die Prozessionen weißbekittelter Opfer an, die von den Kriegskrüppel des ersten Weltkriegs über die Gaskammern des Nationalsozialismus bis zum Genetic Engineering von heute reichten. Gelungen war das nicht. Aber das Ensemble kämpfte tapfer mit dem gewaltigen Stoff, der, statt eine Geschichte von ihnen mit ihren eigen Mitteln zu erzählen, viel zu sehr zum expressionistischem Requiem geriet, in dem sie keine anderen als Opferrollen hatten. Warum sich aber so ein Projekt zuviel auf einmal aufhalst, liegt im Kern des Problems: eben weil es den Mangel der vielen noch fehlenden Bilder so vehement spürt. KATRIN BETTINA MÜLLER

“Bilder, die noch fehlten“, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, Di - So 12 - 18 Uhr, bis 30.11, Katalog 29 DM.