: „Provokation? Quatsch!“
■ Bremen schasste Theaterdirektor Hübner trotzdem. Unter seiner Hand wurde das Theater zum Talentschuppen und Bremen zu einer wilden Stadt
Die Bremer Theater-Ära Hübner endete 1973. Carsten Werner, heute freier Regisseur und Leiter des Jungen Theaters, war damals grade mal sechs. Für die taz sprach er mit der Theaterlegende, die für junge Theatermacher nach wie vor Vorbild ist und der er als Entdecker noch immer zur Seite steht.
taz: Herr Hübner, Sie werden gefeiert als der große Anreger, Entdecker, Zusammenbringer und Animator des deutschen Theaters, als Legende und Vorbild vieler jüngerer Intendanten. Stört Sie das, dass der Regisseur und Schauspieler Kurt Hübner in den Lobreden so wenig vorkommt?
Kurt Hübner: Nein, gar nicht. Denn das hängt ja auch mit mir zusammen, daß ich immer Leute suchte und gefunden habe, von denen ich meinte, sie sind besser als ich oder sie könnten mich in irgendeiner Weise weit übertreffen. Und das hat den Ruhm des Theaters ausgemacht, dass ich diese Regisseure fand und hier her holte, die innovativ waren und unverwechselbar: Zadek, Stein und Grüber, Kresnik und Fassbinder, Wilfried Minks und viele andere – das waren alles unverwechselbare Leute.
Man sagt Ihnen Neidlosigkeit nach ...
Neidlos bin ich. Dass ich das zustande gekriegt habe, dass hier was blühte, mit diesen Menschen, und dass man das nicht vergessen hat, das ist meine größte Genugtuung.
Sie feiern Ihren 85. Geburtstag in Bremen und tragen sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Da haben Sie den heutigen Tag Ihren „Versöhnungstag mit Bremen“ genannt.
Ich möchte es so gerne. Und ich möchte alles wegschaufeln, was schwere Wunden gerissen hat. Es sind neue Leute da, eine andere Generation. Es sind ja nur wenige von den Politikern übrig, die für mich Monster waren, an Unwissenheit und auch an Unverschämtheit. Den Bremern von heute will ich doch nicht das mehr übel nehmen, was die Leute damals an uns Brutales und Mörderisches versucht haben. Das ist vorbei. Es muß Versöhnungstage geben, überhaupt, grundsätzlich in der Menschheit.
Wissen Sie, was man in Bremen gegen Sie oder Ihr Theater hatte? Es waren aufregende, wilde, schwierige Zeiten. Und das Wilde wurde von den Politikern reflektiert und war eine Last. Es sollte doch mit der Kunst, mit dem Theater angenehm bequem bleiben, nicht ständig neue Auseinandersetzungen! Ich war denen vielleicht unheimlich.
Wollten Sie provozieren?
Quatsch. Wir wollten lebendiges Theater machen, das die Leute wach hält und wach macht, aber niemanden aus dem Theater vertreiben! Ich war Theaterdirektor und wollte, dass möglichst viele Leute kommen – und es sind viele gekommen, auch junge Menschen, die vorher nicht ins Theater gegangen sind.
Hans Koschnick sagt, Ihr Theater habe Politik und Gesellschaft neue Anstöße gegeben.
Ja, da war er eine Ausnahme. Nach außen hin hatte er immer seine große Zuneigung gezeigt zu dem, was wir machten. Er war ein wunderbarer Fan. Er war aber nach Innen, in die Politik rein, ein bißchen gehandicapt – der Bürgermeister hat sich nicht in andere Ressorts einzumischen. Da hat er dann so eine Bremer Vornehmheit walten lassen, über die ich immer ein bißchen verblüfft war.
Was machen Sie als nächstes?
Ich habe jetzt in Berlin im Hörspiel den Kant verkörpert. Da war ich gegen mich selber außerordentlich skeptisch. So eine große, skurrile Figur, die muss ich mir ja erstmal erkämpfen. Ich bin beim Impulse-Festival der Freien Theater in der Preisjury und ich habe den Auftrag der Akademie der Künste und der Eysoldt-Stiftung in Bensheim, für die jährliche Verleihung eines Preises den jungen Regisseur zu finden, der dafür in Frage kommt.
Wie entdecken und erkennen Sie einen jungen Künstler?
Das hat viel mit Spüren, Nervlichkeit und auch mit Psychologie zu tun. Dieses Geheimnis eines Menschen, das entdeckt nicht jeder. Ich bin oft gefragt worden: Wie hast Du die alle gefunden? Da müßte ich ein kleines Buch darüber schreiben. Die Intendanten sind überall in Deutschland auf der Suche nach den großen neuen Talenten. Und da sind Leute plötzlich „große Talente“, bevor sie auf Herz und Nieren daraufhin untersucht worden sind. Es gibt viel Brimborium – ich durchschaue das wahrscheinlich leichter als andere, die über eine stilistisch merkwürdige Geschichte entzückt sind. Aber sehr häufig verbirgt sich dahinter nichts weiter als ein bißchen heißer Wind und dann kommt – leere Luft.
Was raten Sie jungen Leuten, die Regisseurin oder Schauspieler werden wollen? Kann man das an einer Schule lernen?
Das weiß ich nicht. Ich habe zu Schulen ja eine ganz schlechte, mißtrauische Beziehung. Es sind ja die Fußkranken des Theaters, die an den Schulen meistens die Lehrer sind, zu viele im Theater Gescheiterte. Da sind immer einige wenige sehr gute Lehrer. An die jungen Regisseure und deren eigene Verfeinerung durch sich selber, an die glaube ich mehr, als an alle Lehrer. Die meisten Hochbegabten sind letzten Endes Autodidakten.
Gilt das auch für Schauspieler?
Ich sage denen: Ihr müßt sehen und schauen. Wie man daran arbeitet, wie man spricht oder stumm ist, Pausen setzt, wie das entsteht. Aber geht nur zu denen, von denen ihr überzeugt seid! Ich liebe es ja, Filme zu sehen. „Die Klavierspielerin“: Was der Haneke da zustande gekriegt hat, das ist wunderbar. Eine höchst neurotische Geschichte, wenn Sie die aber in dem Film sehen, denken Sie, es ist überzeugende Wirklichkeit. Man kann doch an den Maßstäben, die große Kunst setzt, sich selber messen. Dazu sind sehr viele von den jungen Leuten auf den Schulen zu bequem und zu faul. Diese leidenschaftliche Begierde, seine Maßstäbe zu finden an großen Kunstwerken des Theaters oder des Films, ist relativ selten.
Fragen: Carsten Werner
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