„Nicht bis zur Unkenntlichkeit annähern“

Grüne und FDP auf dem gemeinsamen Weg zur Ampelkoalition: Wo „Klischees“ waren, entsteht jetzt „Sachlichkeit“

Grüne und FDP sind sich am Donnerstag wieder näher gekommen und damit ein Stück weiter auf dem Weg zur Ampel. Beinahe behutsam gehen die Vertreter der beiden Parteien mittlerweile miteinander um. Nach einem Gespräch versicherten beide Seiten einander „Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit“.

Das hat insofern Nachrichtenwert, da das Spitzenpersonal noch im Wahlkampf aufeinander eindrosch wie sonst nur rechte CDUler auf die PDS. Zum politischen Faktor geriet die gestörte gelb-grüne Beziehung mit dem Wahlergebnis vom 21. Oktober. Eine Mehrheit alternativ zu Rot-Rot hat nur eine Dreierkoalition von SPD, FDP und Grünen. Seit Bundeskanzler Schröder eine Regierungsbeteiligung der PDS quasi untersagt hat, stehen die beiden kleinen Parteien also unter Einigungsdruck.

In ersten Sondierungsgesprächen hätten sich insbesondere die Grünen „noch katastrophal verhalten“, hieß es anschließend aus der SPD. Außerdem zeichnete sich sowohl an der grünen Basis als auch in der neuen Abgeordnetenhausfraktion eine Mehrheit gegen eine Ampel und für ein Bündnis von SPD, PDS und Grünen ab. Nachdem diese Variante schließlich als unrealistisch erkannt wurde, gingen führende Grüne auf Ampelkurs: Bei einem gemeinsamen Sondierungsgespräch am Montag zeigten sie sich ähnlich kompromissbereit wie die Liberalen.

Anders als ihre Verhandlungspartner aus SPD und FDP muss die zehnköpfigen grüne Verhandlungskommission aber noch einen Auftrag zu Koaltionsverhandlungen einholen: am 7. November auf einer Landesdelegiertenversammlung (LDK). Vor allem vor diesem Hintergrund versteht sich der Wunsch der Grünen, nach Sondierungsgesprächen und vor Koalitionsgesprächen noch einmal zu gesonderten „bilateralen“ Gesprächen mit der FDP zusammenzutreffen. Mit einer Verständigung über „gemeinsame Ziele“ soll der LDK ein Placet zu Koalitionsverhandlungen schmackhaft gemacht werden. Die liberalen Unterhändler um Günter Rexrodt zeigten sich intern genervt von diesem Ansinnen nach weiterem Palaver, willigten jedoch ein – freilich nicht ohne vorher eine Genehmigung beim großen Verhandlungspartner SPD eingeholt zu haben.

Am Donnerstag traf man sich folglich in der Hochschule der Künste. Konkret wurde in der zweistündigen Unterredung über die Themenfelder Haushalt und Soziales gesprochen. „Die Grünen wollten hören, dass wir keinen radikalen Kahlschlag im Sozialhaushalt planen“, sagte anschließend ein liberaler Teilnehmer: „Besonders tief ist das nicht gegangen. Wir spachen über Selbstverständlichkeiten.“ Grüne und Liberale stimmen in der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung überein – und auch darin, dass die Politik mehr Menschen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ermöglichen muss.

Mit Blick auf die LDK argumentieren Ampelbefürworter, Koalitionsverhandlungen könne man nun nicht mehr ablehnen. Entscheidend wird, welche Inhalte die LDK ihrer Verhandlungskommission als nicht verhandelbare Essentials mit auf den Weg geben wird. Die Frage, ob eine weitere LDK einem ausverhandelten Ampelkoalitionsvertrag zustimmt, gilt als offen. Ausgerechnet die katastrophale Finanzlage, der Mühlstein aller Berliner Politik, wird für die Ampel zum Argument. Bei einigen Grünen heißt es schon jetzt: Da außerhalb des Sparens politische Gestaltung kaum möglich ist, werden sich auch die gegensätzlichen Vorstellungen von FDP und Grünen größtenteils von selbst erledigen. Ohne Geld ist eben weder an die Fertigstellung des Autobahnrings noch an eine umfassende ökologische Stadterneuerung zu denken.

ROBIN ALEXANDER