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Niederdeutsche Prolls

■ Der plattdeutsche Bremer Autor Georg Droste mochte süddeutsche 48er-Revolutionäre

„Man kann mit Sicherheit den Dialekt von Bremen als die reinste Weiterentwicklung der alten niedersächsischen Schriftsprache ansehen“, schrieb Friedrich Engels 1841 in seiner Bremer Lehrzeit. Die angesehensten Familien gar sprächen Platt. Drei Jahrzehnte später schnackten Bremens Patrizier ausschließlich hochdeutsch. Den Trend gaben sie an die unteren Stände weiter. Diesen Sprachwechsel, die sozialen Veränderungen Bremens um 1900 und die städtebaulichen Entwicklungen im Os-tertor reflektiert der Bremer Autor Georg Droste (1866-1935). In seinem Hauptwerk, der Romantrilogie „Ottjen Alldag“, beschreibt er die Entwicklung eines Jungen. Otto, Kurzform Ottjen, wird in armen Verhältnissen in einer Kate am heutigen Osterdeich geboren. Gegen Ende des Romans wird dort die jetzige Ex-Scientology-Villa erbaut. Der plattdeutsche Ottjen macht „Kaperstreiche“, spielt mit hochdeutschen Bürgerkindern und verknallt sich am Ende in eine hochplattdeutsche Lehrerstochter aus dem Teufelsmoor. Das Besondere: Das Werk ist komplett auf Bremer Niederdeutsch geschrieben. „Damit handelt es sich um ein sprachgeschichtliches Dokument von unschätzbarem Wert“, sagt der aus Süddeutschland stammende Bremer Linguist Prof. Wolfgang Wildgen. „Denn das Bremer Stadtplatt ist heute so gut wie ausgestorben.“ Wildgen schreibt mit zwei Uni-Kollegen an einer Grammatik des Bremer Platt. Nun hat der Sprachwissenschaftler mit sechs Studierenden der Universität eine Ausstellung konzipiert, die in der Neustädter Bibliothek über Leben und Werk Drostes informiert.

Georg Droste, kein Uropa von Blödel-Wiglaf, ist bei den Jüngeren unbekannt. Jeder Bremer über Fünfzig aber kennt den später erblindeten Korbmacher. Noch in den 50er Jahren strahlte Radio Bremen allvormittäglich Lesungen des Romans aus. Auch die hochdeutschen Hörer verstanden, wenn Ottjen gerade wieder in die Weser gefallen war. "Das liegt daran, dass bis Ende der 40er Droste-Lesestücke in allen Schulbüchern zu finden waren“, erklärt Jürgen Ludwigs, Lehrbeauftragter und Ottjen-Experte. „Spätestens in den 60ern verschwand Droste dann aus der Schule“.

Eine wichtige Roman-Figur ist Süddeutscher: Knipperdolling. Sein Name geht auf einen Führer der Münsteraner Wiedertäuferrepublik von 1534/35 zurück. Der fiktive Knipperdolling ist ein badischer 48er-Revolutionär, der vor der Restauration ins liberale Bremen flüchtet. Der Außenseiter rettet den kindlichen Protagonisten vor dem Ertrinken. Die platt- wie die süddeutsche Minderheit Bremens findet in Droste und Knipperdolling Urahnen, derer sie sich auch politisch nicht zu schämen braucht.

Thomas Gebel

Stadtbibliothek Neustadt, Öffnungszeiten unter 361592 91.

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