piwik no script img

Aus dem Hotel in Chinatown

Außergewöhliche Zusammentreffen: Peking-Jazz mit Max Roach und Jiebing Chen beim JazzFest, elektronische Improvisation mit George Lewis und Aki Takase im Podewil

Ein digitales Piano steht abgedunkelt im Raum, daneben ein kleiner Kasten mit Knöpfen und Drähten. Es ist der Eröffnungsabend des Total Music Meeting im Podewil.

Die neue Leiterin Helma Schleif hat es geschafft, das ursprünglich als Gegenveranstaltung zum etablierten JazzFest ins Leben gerufene Festival für experimentelle Musik auch nach dem Ausscheiden von Jost Gebers weiterzuführen. Die elegante Frau dankt kurz allen Mitwirkenden, dann begrüßt Pianist Alexander von Schlippenbach den lang erwarteten Posaunisten und Professor für Computerkomposition, George Lewis. Er wird gemeinsam mit der in Berlin lebenden japanischen Experimental-Pianistin Aki Takase seine interaktive Komposition „Voyager“ aufführen. Der 1952 in Chicago geborene Lewis studierte in Yale deutsche Philosophen und gehörte in den 70ern zu den ersten Mitgliedern der Chicagoer „Association for the Advancement of Creative Musicians“. Er lernte auch bei der von Boulez gegründeten Ircam in Paris und leitet jetzt den Fachbereich für Computerkomposition am Musikinstitut der UC San Diego.

Bei dem interaktiven Duo wird Takase zur Assistentin. Sie improvisiert mit Lewis, während ihr Spiel im Computer aufgezeichnet und transformiert wird. Elektronische Zufallsimprovisation. Als sie aufsteht und sich in den Schatten der Bühnentür stellt, improvisiert Lewis mit der Rückkoppelung ihrer Klänge aus dem Piano, dann spielt sie selbst dazu. So formen sie ein Kunstwerk, das höchste Konzentration erfordert durch die sich permanent erneuernde Klangordnung.

Die Verschmelzung von menschlichem Ausdruck und elektronischer Veränderung bleibt das unerschöpfliche Thema von George Lewis, ebenso wie die fließende Grenze zwischen Musik und Kunst. Die Konzerte beim JazzFest haben dagegen einen deutlich anderen Ansatz, bei dem die Improvisation der kleinste gemeinsame Nenner ist. Hier steht solides Entertainment an erster Stelle.

Überraschend und erfrischend der Auftritt des Jazzfürsten Max Roach: Als Inbegriff lebender Jazzgeschichte ist der Schlagzeuger zuletzt vor allem durch seine konservativen Äußerungen aufgefallen. An diesem Abend verdeutlicht er, wofür der Jazz eigentlich steht – für die Öffnung hin zu anderen musikalischen Formen. Dabei trifft Jazz als Symbol für amerikanische Musik auf die klassische chinesische Kunstmusik der zweisaitigen chinesischen Geige „Erhu“, gespielt von der aus Schanghai stammenden Jiebing Chen. Das Projekt des „Beijing Trios“ entstand aus der Initiative des in San Francisco lebenden chinesischen Pianisten Jon Jang und der „Asian Improv Records“, die sich auf zeitgenössische US-asiatische Musik spezialisiert haben.

Roachs erster Kontakt mit China fand im Juni 1998 statt: in Chinatown von San Francisco. Hier mietete er sich in ein kleines Hotel ein und versuchte sich in die chinesische Welt Amerikas einzufühlen. Bei der Erhu faszinierte ihn der „Charakter der menschlichen Stimme“, während Jiebing Chen durch Max Roach einen ganz neuen Zugang zum Schlagzeug gefunden hat: das abseits von der reinen Rhythmusgebung auch hier Melodie möglich ist. Obwohl der 77-jährige Roach körperlich stark angeschlagen und Jiebing Chen die Hauptsolistin des Abends ist, gehen alle sehr behutsam und respektvoll miteinander um. Sie bilden eine musikalische Einheit, deren reduzierte Form den Ausdruck an Intensität ausweitet. Nach der tiefen und sinnlichen Interpretation von Ellingtons sakraler Komposition „Come Sunday“ wird Roach, der Star und teuerster Act des Festivals, noch einmal in den Mittelpunkt gerückt: Auf einem Schemel sitzend improvisiert er ein kurzes Solo auf dem kleinen Becken. Dann wird er nach draußen geleitet. MAXI SICKERT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen