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Die Falle der Abstraktion

Ein Symposium beriet über den „Ort der Information“, der das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ergänzen soll. Die Angst vor der Überfrachtung und die Furcht vor der Ignoranz der Besucher beschäftigte Historiker und Ausstellungsmacher

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Wer waren denn „die Juden“? Das, meinte David Bankier, Direktor des Fachbereichs Holocaust-Forschung in Jerusalem und Leiter der Gedenkstätte Jad Vaschem, werde man sich, wenn man den Prozess der Assimilation noch fünfzig Jahre weiter denke, immer weniger vorstellen können. Er erzählt von Filmarbeiten der deutschen Wehrmacht in Osteuropa, die dokumentierten, wen sie erschossen und was sie vernichteten, so gewiss waren sie, dass keine Spur bleiben würde. Wer umgebracht wurde, wer die Juden Europas waren in ihrer großen Vielfalt und Heterogenität, das müsse der „Ort der Information“ am Denkmal für die ermordeten Juden Europas unbedingt vermitteln. Ohne viele Details, die Bankier als „Feinschmeckerei“ beiseite schob, aber mit starken Erzählweisen, die selbst das Absurde der Geschichte sprechen lassen: dass etwa Kinder im Konzentrationslager „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ als Theaterstück aufführten.

Der „Ort der Information“, der auf einen Beschluss des Bundestages Teil des Denkmals für die ermordeten Juden Europas werden soll, stand im Mittelpunkt eines Symposiums, zu dem die Stiftung eingeladen hatte. Wenige Tage zuvor hat die Vorbereitung des Baugrundes für das Feld begonnen, auf dem nach einem Entwurf von Peter Eisenman 2.700 Betonstelen das Denkmal bilden werden.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eröffnete die Tagung und betonte die Notwendigkeit, Geschichte zu vergegenwärtigen. Fakten und Zahlen allein erzeugen eher Gleichgültigkeit. Wie man der Falle der Abstraktion entgeht, wie man aufklären kann, ohne zu banalisieren, all das gab Thierse den beratenden Architekten, Historikern und Gestaltern als Fragen mit.

Unstille Besucher

Die Stiftung legte für den „Ort der Information“ als Diskussionsgrundlage einen so genannten Drehbuchentwurf vor, der in vier architektonische und inhaltliche Stationen gegliedert war: Raum der Stille, Raum der Schicksale, Raum der Namen, Raum der Orte. Deren Architektur nach einem Vorschlag von Dagmar von Wilcken übernahm die Rasterung durch die Stelen des Denkmals in eingelassenen Schrifttafeln im Boden und hängenden Vitrinen. Die meisten Teilnehmer kritisierten dies und befürchteten eine Sakralisierung. Wenn wirklich eine Million Besucher im Jahr kommt, wie erwartet wird, sei „Stille“ hier nicht herzustellen.

Einig waren sich alle, die Biografien Einzelner als Ansatzpunkt zu wählen, um einen individuellen Zugang zu schaffen. Nur das Wort „Schicksal“, das so wenig nach historischer Verantwortung klingt, strichen sie schnell aus dem Konzept. Die ausgewählten Lebensgeschichten dürfen nicht nur in Deutschland beginnen, sondern müssen auch von Familien und Gemeinden in Griechenland, Weißrussland und Prag erzählen, damit klar wird, dass der Völkermord an den Juden das Gesicht von ganz Europa verändert hat.

„Europa, warum hast du mich verlassen.“ In diesen Stoßseufzer, meinte David Bankier, mündeten viele authentische Zeugnisse, die er am Ort der Information wiederfinden will. Philippe Burrin, Historiker aus Genf, der sich viel mit Frankreich unter deutscher Besetzung auseinandergesetzt hat, wollte als Kontext unbedingt dargestellt wissen, dass der Holocaust Teil des Angriffskriegs war, in dem Deutschland sich zur Hegemonialmacht über einen großen Teil Europas aufschwingen wollte. Ebenso gehöre die Kollaboration mit den Tätern ins Informationspaket.

Suche nach Didaktik

Leider waren die internationalen Historiker erst zur letzten Runde des Symposiums geladen. In ihren Reden weitete sich der Kontext deutlicher als zuvor zu einem europäischen Horizont. Zuvor war viel um den Zeitraum der Dokumentation gestritten worden. Die Angst vor der Überforderung der Besucher ließ dabei immer wieder nach didaktischen Konzepten suchen. Keinen guten Eindruck hatte auf viele Teilnehmer ein Besuch im neu eröffneten Jüdischen Museum gemacht, das mit einer breiten ausstellungstechnischen Palette Inhalte eher zuschüttet als Konzentration zu fördern. Der große Unbekannte war der „Besucher“. Was bringt er mit an Bildern, Wissen, Vorurteilen? Das aber sei der entscheidende Kontext, an dem die Reflexion einsetzen müsse, betonte Hanno Loewy vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt.

Den überraschendsten Vortrag der Tagung hielt Peter Eisenman. Er begann mit dem Anschlag auf das World Trade Center, den er als Attacke gegen die Moderne, Urbanität, Minderheiten und die Verschiedenheit von Kultur in der Großstadt erlebt hat. Angegriffen wurde ein architektonisches Symbol. Er beschrieb den Terrorismus als Medienereignis, das uns mit Bildern besetzt und manipuliert. Vor diesem Hintergrund gewann das Denkmal nicht nur neue Aktualität, weil der Kampf gegen Verschiedenheit sich fortsetzt. Sondern Eisenman betonte auch noch einmal die Notwendigkeit, nicht mit Symbolen zu arbeiten, die Geschichte festschreiben. Im Raum verloren gehen, sich verlassen fühlen: So stellt er sich das Erleben des Denkmals vor.

Gerade die Offenheit der Skulpturenlandschaft aber erzeugte in den Historikern die Vorstellung, die ganze Arbeit der Aufklärung noch leisten zu müssen in den 572 Quadratmetern des Ortes der Information. Ein deutliches Unbehagen war vor allem gegenüber dem geplanten „Raum der Namen“ zu spüren.

Deutsche Anmaßung

Die Stiftung hat mit der Jerusalemer Gedenkstätte Jad Vaschem Kontakt aufgenommen, deren Listen mit den Namen Ermordeter der Vollständigkeit am nächsten kommen. Im Judentum entspricht die Verlesung der Namen einer jahrhundertealten Tradition der Herstellung von Gedächtnis. Mit dem Holocaust hat sich die Bedeutung dieses Rituals gesteigert, weil die Vernichtung der jüdischen Kulturen tatsächlich an der Auslöschung des Namens ansetzte. Sie gingen als Nummern in die Gaskammern. Für David Bankier sind deshalb die Namen unverzichtbar als Widerstand gegen die Auslöschung der Erinnerung. Doch eine ritualisierte Verlesung im „Ort der Information“ erschien vielen Teilnehmern auch als deutsche Anmaßung. Denn die ersten Konzepte für Jad Vaschem entstanden 1942, das Berliner Denkmal erst ein Menschenleben später und im Land der Täter. Diese Unterscheidung darf nicht verwischt werden.

Die Teilnehmer des Symposiums waren sich im Übrigen nicht ganz klar über ihre Rolle. Der „Drehbuchentwurf“ stieß viele vor den Kopf, war da nicht alles schon entschieden? Sibylle Quack, Geschäftsführerin der Stiftung, hob seine Vorläufigkeit hervor; doch weil die Bauarbeiten im Frühjahr beginnen, scheint zumindest das architektonische Konzept verbindlich. Kritisiert wurde auch das auf Dauer festgeschriebene Modell von Information. Ein Raum für wechselnde Ausstellungen erleichtere es, auf die sich verändernden Fragen und Erwartungen der Besucher zu reagieren.

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